Dörte Hansen, geboren 1964 in Husum, lernte in der Grundschule, dass es außer Plattdeutsch noch andere Sprachen auf der Welt gibt. Die Begeisterung darüber führte zum Studium etlicher Sprachen wie Gälisch, Finnisch oder Baskisch und hielt noch an bis zur Promotion in Linguistik. Danach wechselte sie zum Journalismus, war einige Jahre Redakteurin beim NDR und arbeitet heute als Autorin für Hörfunk und Print. ‚Altes Land‘ war ihr erster Roman. Mit der in Husum lebenden Schriftstellerin führte BREMER-Autorin Fanny Quest ein exklusives Interview.

BREMER: Gibt es das Heimatdorf von Ingwer Feddersen in Realität?
Dörte Hansen: Nein, Brinkebüll ist ein fiktives Dorf irgendwo auf der Geest in Nordfriesland. Aber interessanterweise glauben sehr viele Leserinnen und Leser dieses Dorf zu kennen – sogar im Süden Deutschlands. „Brinkebüll ist überall“, den Satz höre ich oft.

Wie empfinden Sie norddeutsche Dörfer?
Backstein und Reetdach lösen bei mir sofort heimatliche Gefühle aus – und nostalgische, denn in den alten Bauernhäusern leben heute nur noch selten Bauern.

Wie sehen die Figuren in Ihrem Roman ihre Heimat?
Die meisten hängen an ihr – manche so sehr, dass sie niemals aus dem Dorf ihrer Kindheit wegziehen würden. Andere gehen nach der Schule fort und vermissen es dann ihr Leben lang, wie Ingwer Feddersen, der von Brinkebüll nach Kiel gezogen ist und sich doch immer fühlen wird wie ein ‘Kartoffelkind’ von der Geest. Manche verschwinden auch, so schnell sie können, wie die Bäckerstochter Gönke Boysen, die Brinkebüll sofort nach ihrem Abitur verlässt, auf Nimmerwiedersehen!

Was glauben Sie, warum sich das dörfliche Leben auf dem Land so verändert hat?
Es musste sich verändern, weil die kleinbäuerliche Landwirtschaft keine Zukunft hatte. Die Menschen in den Dörfern brauchten und wollten den Fortschritt, sie haben daran geglaubt. So sehr, dass sie mit ihrem Feldzug gegen die Natur über das Ziel hinausgeschossen sind. Das wissen wir heute. Hinterher ist man immer klüger!

Was halten Sie von der sogenannten ‘Landflucht’?
Ich kann verstehen, dass Menschen aus den Dörfern in die Städte ziehen. Die Jungen ziehen weg, weil es für sie keine Jobs gibt, und die Alten ziehen weg, weil es keinen Kaufmann mehr gibt, keinen Bäcker, keinen Arzt. Wer nicht mehr Auto fahren kann, ist oft auf hilfsbereite Nachbarn angewiesen.

Denken Sie es wird eine Gegenbewegung geben?
Ich glaube, das Problem wird mittlerweile überall erkannt. Es gibt viele Versuche, die Infrastruktur auf dem Land zu verbessern: Mobile oder sogar feste Dorf­läden, Dorfgemeinschaftshäuser, Anruftaxis… Ich hoffe, dass es bald wieder mehr Leben geben wird auf dem Land!

Wie empfinden Sie den Beruf der Schriftstellerin?
Von den Berufen, die ich bislang hatte, ist es der schönste und gleichzeitig der schwerste.

Was schätzen Sie an Nordfriesland?
Ich mag den schnörkellosen Menschenschlag hier oben – und die Landschaft. Nicht lieblich, eher karg, aber sehr klar.

Sie sprechen Plattdeutsch zuhause – was gefällt Ihnen an Plattdeutsch?
Für Plattdeutsch gilt eigentlich dasselbe: Schnörkellos, nicht gerade lieblich, eher mal karg, aber sehr klar!

Haben Sie einen Wunsch?
Ich würde gern mal das Polarlicht sehen – ansonsten habe ich wirklich alles, was ich mir wünschen kann!

Haben Sie ein Lebensmotto?
„Laat di Tiet is uk een Walzer“, das bedeutet, sehr frei übersetzt: „In der Ruhe liegt die Kraft.“ Leider bin ich noch sehr weit entfernt davon, nach diesem Motto zu leben, aber ich arbeite daran!

Schon eine Idee für ihren nächsten Roman?
Nein, kommt aber hoffentlich noch!

Mittagsstunde von Doerte Hansen

Dörte Hansen
Mittagsstunde
Roman
Die Wolken hängen schwer über der Geest, als Ingwer Feddersen, 47, in sein Heimatdorf zurückkehrt. Er hat hier noch etwas gutzumachen. Großmutter Ella ist dabei, ihren Verstand zu verlieren, Großvater Sönke hält in seinem alten Dorfkrug stur die Stellung. Er hat die besten Zeiten hinter sich, genau wie das ganze Dorf. Wann hat dieser Niedergang begonnen? In den 1970ern, als nach der Flurbereinigung erst die Hecken und dann die Vögel verschwanden? Als die großen Höfe wuchsen und die kleinen starben? Als Ingwer zum Studium nach Kiel ging und den Alten mit dem Gasthof sitzen ließ? Mit großer Wärme erzählt Dörte Hansen vom Verschwinden einer bäuerlichen Welt, von Verlust, Abschied und von einem Neubeginn.
Penguin Verlag 22€

(Foto: Sven Jaxx)

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