Peter Wohlleben studierte Forstwirtschaft und war über 20 Jahre lang Beamter der Landesforstverwaltung. 2006 gab er die Stelle auf und übernahm als Förster ein 1.200 Hektar großes Waldgebiet in der Eifel. Sein Wissen gibt er in seinen Bestsellern ‘Das geheime Leben der Bäume’ oder ‘Das Seelenleben der Tiere’ weiter und schafft so ein neues Bewusstsein für unsere Natur. Mit dem bekanntesten Forstwirt Deutschlands führte
BREMER-Autorin Fanny Quest ein exklusives Interview.

BREMER: Herr Wohlleben, was begeistert Sie so am Wald?
Peter Wohlleben: Der Wald ist zwar kultiviert und zu großen Teilen stark bewirtschaftet, aber er ist nach wie vor das ursprünglichste Ökosystem Deutschlands.

Was ist für Sie ein Baum?
Also, ein Baum ist für mich letztendlich nichts Anderes als ein Elefant aus dem Pflanzenreich. Der hauptsächliche Unterschied zu tierischen Elefanten ist, dass Bäume eben viel, viel langsamer sind – so langsam, dass wir deren Prozesse kaum nachvollziehen können. Sie haben mit ihren tierischen Kollegen aber auch viele Ähnlichkeiten: Sie leben gerne in Familienverbänden, sind sehr sozial und teilen untereinander über die Wurzeln Nahrung, also Zuckerlösungen. Mutterbäume kümmern sich tatsächlich aktiv um ihren Nachwuchs. Nach aktueller Forschung sind sie sogar in der Lage über die Wurzelspitzen, darin sind gehirnähnliche Strukturen, herauszufinden, ob die Sämlinge in der Nachbarschaft eigene Kinder sind oder nicht. Die eigenen werden über Wurzelverbindungen regelrecht mit Zuckerlösung gestillt. Die allerneuste Forschung von der Universität British Columbia besagt, dass es sogar Lieblingskinder unter diesen Sämlingen gibt.

Sie schreiben, dass ein Baum ein Gedächtnis hat, wie kann man sich das vorstellen?
Ja, man weiß, dass Bäume Erinnerungen speichern können, nur noch nicht genau, wie das funktioniert. Wenn Bäume schon einmal eine heftige Dürre erlebt haben, reißt das Holz, wenn es trocknet, im Inneren und das tut den Bäumen weh. Sie merken sich das und gehen von da an anders mit Wasser um. Man weiß sogar, dass Bäume Erinnerungen an ihren Nachwuchs auch über die Wurzeln weitergeben können. Wie und wo sie das genau speichern, weiß man allerdings noch nicht.

Wie wirkt sich der Klimawandel auf die Wälder in Deutschland aus?
Wenn wir die Wälder zu stark bewirtschaften, hat das negative Auswirkungen auf den Klimawandel. Dann stören wir nämlich die Sozialgemeinschaft. Bäume sind von Natur aus als Wald gut in der Lage, sich selbst zu regulieren. Das ist auch genau der Grund, warum Bäume so sozial sind: Sie möchten nämlich auf Gedeih und Verderb, möglichst viele Wald-, Baum- und Familienmitglieder erhalten. Deshalb teilen sie Nahrung und unterstützen sich gegenseitig. Sie können sich zum Beispiel an heißen Sommertagen, im Gegensatz zu bewirtschafteten Wäldern, um drei Grad stärker runterkühlen, indem sie viel Wasser verdunsten und quasi gemeinsam schwitzen. Wenn wir die Wälder also nicht stören, dann ist der Klimawandel kein Problem. Wenn wir aber stark Forstwirtschaft betreiben und viele Bäume raus sägen, dann machen wir sie zu Einzelkämpfern und die Wälder leiden.

Ihre Bücher faszinieren die Menschen. Hätten Sie mit solch einem Erfolg gerechnet?
Nein, überhaupt nicht. Ich weiß, dass Menschen sich grundsätzlich dafür interessieren. Denn wenn wir in unserer Waldakademie Führungen anbieten, fragen die Leute oft, wo sie alles noch einmal nachlesen können. Deshalb habe ich angefangen, alles aufzuschreiben. Dass ich damit aber solch einen Erfolg haben würde, damit hätte ich im Leben nicht gerechnet. Offenbar hat das Buch einen Nerv getroffen.

Warum interessieren sich die Menschen so sehr für den Wald, hängt das mit der Sehnsucht nach Ruhe zusammen?
Tatsächlich kann man messen, dass der Blutdruck bei einem Waldspaziergang sinkt. Und zwar hält das offensichtlich auch noch Tage danach an. Wir sind uns dem oft gar nicht bewusst, aber unser Immunsystem reagiert messbar auf eine natürliche Umgebung, das haben Forschungen von Universitäten in Japan und Südkorea ergeben. Vor allem in unserer technisierten Welt ist Natur wie ein Ausgleichspol, den man im wahrsten Sinne des Wortes braucht, um sich wieder zu erden.

Wollen Sie mit ihren Büchern etwas bewirken?
Ich möchte mich für den Schutz der Wälder einsetzen, ja. Ohne den Zeigefinger zu erheben, möchte ich Menschen für diese Pflanzenelefanten begeistern. Denn, wenn man weiß, dass Bäume auch Freundschaften pflegen oder Stadtbäume nicht schlafen können, wenn sie nachts von einer Straßenlaterne angeleuchtet werden, dann macht ein Waldspaziergang auf einmal viel mehr Spaß.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Dass die Menschen wieder mehr Spaß mit dem Wald haben und so auch die Bereitschaft wächst, dieses ursprüngliche Ökosystem zu schützen.

Peter Wohlleben
Das geheime Leben der Bäume als Bildband

‘Das geheime Leben der Bäume’, soeben erschienen, untermalt mit großartigen Fotos der Natur die ungeahnten Welten unserer Wälder. Peter Wohlleben betrachtet den Wald, insbesondere die Bäume, aus einer ungewohnten Perspektive: Sie kommunizieren miteinander, umsorgen und pflegen liebevoll ihren Nachwuchs, alte und kranke Nachbarn; sie haben Empfindungen, Gefühle und ein Gedächtnis. Nach dem Buch betritt man den Wald mit anderen Augen. Faszinierende Ge­schichten und ein wunderschöner Bildband.
Ludwig Verlag 29,99€

(Foto: Christian Faustus)

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