Alexandra Reinwarth ist Bestsellerautorin, zu ihren Büchern gehören ‘Was ich an dir liebe‘ oder auch der aktuelle Spiegel-Bestseller ‘Am Arsch vorbei geht auch ein Weg‘. BREMER-Autorin Fanny Quest führte mit der in Valencia lebenden Produzentin und Autorin ein exklusives Interview.

BREMER: Als wäre es das letzte Jahr… was hat dich zu der Idee gebracht?
Alexandra Reinwarth: Eine Freundin von mir war zum zweiten Mal an Krebs erkrankt. Und es war wie immer, wenn man so eine Nachricht hört, ob von Krankheit oder von einem Unfall eines Kollegen oder dem Herzinfarkt eines Bekannten: kurz schrecken wir dann auf, weil wir merken, dass wir so leben, als hätten wir noch ewig Zeit. Dann besinnen wir uns einen Moment, vielleicht kommt die eine oder andere Erkenntnis, dass man eigentlich einige Dinge anders machen müsste – und dann verfallen wir wieder in den alltäglichen Trott: die Arbeit, die Familie, der kaputte Drucker und die Steuererklärung. Bis dann wieder etwas passiert.

Warum eigentlich genau eine einjährige zeitliche Beschränkung? Setzt dies nicht unter Druck?
Ich wollte einen Projektcharakter für das Experiment. Sonst hätte es ja wieder geheißen: irgendwann. Der Druck entsteht ja durch die Idee, Entscheidungen von diesem Wissen abhängig zu machen: es geht zu Ende. Das schärft den Blick enorm für das‚ was wirklich wichtig ist.

Was hat sich verändert?
Viel, bei mir und anderen. Ich hatte fast keine Angst mehr und war bereit, mehr zu riskieren, in allen Bereichen. Ich habe einen wirklich abenteuerlichen beruflichen Traum verwirklicht, bin mit meinem Freund auseinandergezogen, habe aufgehört, mich mit Menschen zu umgeben, die mir nichts bedeuten und ich habe ehrlich gezeigt, wie ich fühle. Ich habe mich verletzlicher gemacht und das Irre daran war: je mehr ich meine Wunden und Schwä­chen gezeigt habe, desto stärker fühlte ich mich.
Ich habe viel öfter überlegt, was ich wirklich tun möchte (z.B. eine Freundin auf eine Reise zu einer Beerdigung begleiten) und habe dann alles dafür getan, um das hinzubekommen (berufliche und andere Verpflichtungen dafür nicht eingehalten und abgesagt). Und immer, wenn ich das tat, was ich von Herzen wollte, hat sich das so unfass­bar gut angefühlt, dass ich immer mehr davon wollte. Meine Freundin Jana hat sich anstecken lassen von der Idee und war plötzlich nicht mehr zu stolz und zu ängstlich, den Typen anzusprechen, der ihr so gut gefiel: was soll schon passieren? Aller Stolz ist am Ende nicht wichtig, sondern nur, dass man alles versucht hat.

Dann könnte man rein theoretisch jeden Tag drei Tafeln Schokolade essen?
Naja. Können Sie schon machen, aber selbst mit dem Gedanken, dass man irgendwann den Löffel abgibt, hat man jetzt nicht so große Lust auf Bauchschmerzen…

Wie funktioniert der Selbstversuch aus finanziellem Blickwinkel? Wird das Sparbuch geplündert? 😉
Nein. Ich bin ja nicht bescheuert, nur weil ich die Prioritäten geraderücke. Aber ich habe schon darüber nachgedacht, für was ich gerne Geld ausgeben möchte. Ich habe auch den Hund nicht ins Tierheim gegeben und alle Versicherungen gekündigt. Darum geht es nicht – tatsächlich geht es darum, das zu tun, was das Herz einem sagt – und nicht die Angst, die Umstände, eine andere Person oder eine Erwartung, die an uns herangetragen wird.

Was behältst du nach dem Experiment im Alltag bei?
Zum einen hat sich ja mein Leben ziemlich umgekrempelt, das bleibt erst mal so – und ich prüfe viel öfter bei Entscheidungen, was das Herz will – und folge ihm, auch wenn ihm manchmal Angst, Zweifel, Unsicherheit und andere Menschen im Weg stehen, denn es ist das Einzige, was zählt. Ich versuche, mir Herzenswünsche nicht mehr zu versauen, indem ich meinem Hirn nicht mehr erlaube, diese Sätze zu wiederholen: Jetzt warte erst mal ab. Das kannst du immer noch machen. Und was, wenn… nicht funktioniert?

Warum lebst du in Valencia?
Weil mir Barcelona zu teuer war. 🙂

Denkst du mit dem langjährigen Leben in Spanien anders und wie siehst du die deutsche Kultur?
Ja, mit etwas Abstand sieht man ja die Dinge meist etwas anders. Aber im Grunde sind sich die Menschen ja immer viel ähnlicher als alle Oberflächlichkeiten das übertünchen.

Was macht dich richtig glücklich?
Liebe und das alles.

Was macht dich richtig sauer?
Wenn mein Partner vergisst, das Kind vom Kindergarten abzuholen (das geht an dich, L.!)

Ein Wunsch für die Zukunft?
Liebe und das alles, für alle. (ich bin ein ziemlicher Hippie, was –) Und dass generell die Leute mehr Mut haben, sich nach ihrem Herzen zu entscheiden, auch wenn ihre Welt dabei in Stücke fliegt.

Hast du ein Lebensmotto?
Nicht wirklich, aber „Das Leben ist zu kurz für später“ kommt schon ziemlich nahe ran.

Cover von ‚Das Leben ist zu kurz für später‘

Alexandra Reinwarth
Das Leben ist zu kurz für später
Einen Tag nach ihrem Todestag wacht Alexandra Reinwarth morgens auf – und ist glücklicher als je zuvor. Und nichts ist mehr so, wie es einmal war. Aber von vorne: Es gibt Momente, in denen einem klar wird, dass es so nicht weitergehen kann, dass sich das Leben ändern muss. In einem genau solchen Moment entschließt sich Alexandra Reinwarth zu einem spannenden Selbstversuch: Sie wird so leben, als wäre es ihr letztes Jahr. Und dieses Experiment ändert alles: Wie aus Sorgen, Stress und Anspannung ein Leben ohne Wenn und Aber mit völlig neuen Prioritäten und überraschenden Zielen wurde, erzählt sie in ihrer unnachahmlich humorvollen Art und zeigt, was passiert, wenn man wirklich im Jetzt lebt!
mvg Verlag 16,99€

(Foto: Arturo Martínez)

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