Julia Friedrichs arbeitet als Autorin von Reportagen und Dokumentationen für den WDR und das ZDF sowie das Redaktionsteam der Bild- und Tonfabrik ‘docupy‘ und schreibt für die ZEIT. Zu ihren Büchern gehören ‘Gestatten Elite‘, ‘Ideale‘ und ‘Wir Erben‘. BREMER-Autorin Fanny Quest führte mit der in Berlin lebenden, preisgekrönten Autorin ein exklusives Interview.

BREMER: Woher kommt dein Interesse für Werder Bremen?
Julia Friedrichs: Ich wurde im westlichen Münsterland geboren – im fußballerischen Niemandsland. Ich wuchs auch nicht als Kind von Eltern auf, die mich an der Hand in ein Stadion geführt haben, um mein Schicksal auf immer mit dem des Vereins zu verknüpfen. Ich hätte also jeden haben können. Das mit Werder und mir war eine Liebesheirat, keine Zwangsehe. Werder Fan wurde ich in den goldenen Zeiten des berauschenden Fußballs unter Thomas Schaaf.

Was macht für dich den grün-weißen Bundesligisten aus?
Werder hat Eigenschaften, die ich auch an Menschen mag: Der Verein ist besonnen, treu, warmherzig. Er ist kein Blender oder Schwätzer, aber durchaus smart. Er misstraut Hypes, ist im Zweifel eher gut als groß, in perfekten Zeiten aber durchaus auch beides zusammen.

Welche Zeit sticht für dich bei Werder heraus?
Keine Frage: Die zweite Hälfte der 2000er.

Gibt es eine Verbindung zwischen der Stadt Bremen und seinem Verein?
Werder und ich führen eine Fernbeziehung. Ich könnte mehr da­rüber erzählen, wie überraschend eng die Bindung einiger Berliner Kieze zu Werder ist. Bremer Fans haben mir während der Recherche eine Reihe Gründe dafür genannt, dass die Bindung zwischen Stadt und Fans so eng ist. Nummer 1: Bremen sei eine Insel, umspült von Niedersachsen. So etwas schweiße zusammen. Grund 2: Bremen sei eine gebeutelte, eine arme Stadt, die einen langen, quälenden Niedergang erlebt habe. Da klammere man sich umso mehr an den Verein. Grund 3: Der Bremer sei besonnen, keiner, der Hals-über-Kopf-Entscheidungen träfe. Wenn sich ein Bremer bindet, dann auf Dauer, ewig loyal.

Was unterscheidet den Werder-Fan von anderen Fußball-Fans?
Für mich wurde der Unterschied am deutlichsten, als es um alles ging: In der Saison 2015/2016 stand der Verein am Abgrund. Es gab noch ein alles entscheidendes Spiel gegen Eintracht Frankfurt. In anderen Vereinen reißt in einer solchen Lage oft die Verbindung zwischen Fans und Team. Die Zuschauer pfeifen, beschimpfen die Spieler, blockieren die Abfahrt des Busses. Als ich an diesem Tag vom Bahnhof zum Stadion lief, sah ich tausende Werder-Fans mit grünen und weißen Herzballons in der Hand. Die Fans hatten sich entschieden, es anders zu machen, als im Abstieg üblich: Sie haben ihre Mannschaft über die Ziellinie geliebt.

Was hältst du von der letzten WM?
Die WM ist für mich immer eine emotional entspannte Zeit. Ich kann sehr viel Fußball schauen, ohne dass mein Herz an einem Team hängt. Froh war ich da­rüber, dass mein Favorit und Tipp Frankreich gewonnen hat. Meine Distanz zum deutschen Team ist durch den Umgang mit Mesut Özil gewachsen. Ich hätte mir gewünscht, dass sich Kapitän, Mitspieler und Trainer – bei aller berechtigten Kritik an Fotos mit Autokraten – hinter ihren Mannschaftskameraden stellen.

Hat der Sport Fußball sich über die Jahre verändert?
Der Fußballmarkt heizt sich weiter auf. Natürlich schwirrt auch mir der Kopf, wenn ich die Summen lese, die bei Transfers gezahlt werden. Natürlich betrübt mich der Abstand zu Werder, wenn ich ein Champions League Spiel sehe und die Stars schnell und präzise agieren – wie Playstation-Figuren. Natürlich finde ich es problematisch, dass Vereine inzwischen zum beliebten Investmentobjekt der Superreichen geworden sind. Aber für mich hat der Fußball seinen Zauber dennoch nicht verloren: 90 Minuten, die die größten oder langweiligsten oder de­saströsten deiner Woche sein können. Und nie weißt Du es vorher.

Hast du einen Wunsch für Werder Bremens Zukunft?
Ich habe ein Bündel Wünsche für Werders Zukunft, weiß aber nicht, ob alle gleichzeitig erfüllbar sein werden. Ich hoffe, dass Werder anders bleiben wird, sich seine Ruhe und Besonnenheit bewahren wird, weiter große Nähe zwischen Fans und Mannschaft zu­lässt, dass das Weserstadion seinen Namen bewahrt und der Verein nicht jeden Mist, den der Markt diktiert, mitmacht. Gleichzeitig wünsche ich mir sportlichen Erfolg. Ob das zusammengeht?

Ist Kohfeldt der richtige Trainer für Werder?

Na klar.

Deine Prognose – wo siehst du Werder am Ende der Saison?
Den ganzen Urlaub über habe ich meine Söhne damit genervt, dass ich immer wieder begeistert Max Kruse zitiert habe: „Um die Meisterschaft werden wir sicher nicht mitspielen, aber alles, was dahinter kommt, könnte für uns interessant sein.“ Ich erwarte, dass Werder mit dem Abstieg nichts zu tun hat. Ich rechne mit einem einstelligen Tabellenplatz. Ich hoffe auf mehr. Und habe jetzt schon Angst vor der Enttäuschung.

Cover von ‚Gebrauchsanweisung für Werder Bremen‘

Julia Friedrichs
Gebrauchsanweisung für Werder Bremen
Würde Sympathie über Fußballspiele entscheiden, wäre Werder Bremen die Nummer eins der Bundesliga. Die Fanliebe zum 1899 gegründeten Traditionsverein reicht weit über die Grenzen des Weserstadions hinaus und auch Julia Friedrichs trägt das Vereinswappen auf dem Herzen. Voller Leidenschaft durchlebt sie in ihrem Band die wechselvolle Geschichte des grün-weißen Bundesligisten: Das Goldene Zeitalter unter Otto Rehhagel und die Wunder von der Weser. Das leidige Schicksal eines Fast-ganz-großen-Vereins, dem Spieler wie Özil, Diego oder Klose abhandenkommen und Abstiegskämpfe, die sich in letzter Sekunde entscheiden. Sie folgt ihren Helden ins Trainingslager, spricht mit Anhängern der Bremer Ultraszene und am Ende ist klar, warum man so einem Klub lebenslang die Treue hält.
Piper 15€

(Foto: Susanne Schleyer)

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