Er kennt jeden Quadratzentimeter der bremer shakespeare company (bsc) – seit 1989 ist Peter Lüchinger festes Mitglied des Ensembles.

Es ist ungewöhnlich, dass ein Schauspieler so lange am gleichen Theater bleibt. Als Vorstand der selbstverwalteten Company trug er entscheidend dazu bei, ihr in Bremen zu dem Standing zu verhelfen, das dazu führte, dass sie nun in ihre 40. Spielzeit gehen kann. Seit 2015 tritt Lüchinger außerdem als Eiswettschneider auf und zeigt sich mit der Geschichtswissenschaftlerin Dr. Eva Schöck-Quinteros verantwortlich für die historische Lesereihe ‘Aus den Akten auf die Bühne’. Er erstellt die Textbearbeitung der Originalakten für die Bühnenfassung und führt Regie. Nun spielt der gebürtige Schweizer das letzte Stück auf der Bühne der Neustadt, weil er in Rente geht.

Peter Lüchinger als Titelfigur in ‘King Charles III’

Mit der Hauptrolle in ‘Anne-Marie die Schönheit’ (2019) erfüllt sich Lüchinger einen Wunsch – einmal alleine auf dem Podium zu stehen. Der Monolog, aus Sicht einer Frau erzählt, stammt von der französischen Schriftstellerin Yasmina Reza, die nur eine Bedingung für das Stück stellt: Anne-Marie soll von einem Mann gespielt werden.

Yasmina Reza sagt selber: „Ich kann besser über meine Vergangenheit schreiben, wenn ich weiß: Es spielt ein Mann“, zitiert Regisseur Stefan Otteni die Autorin. Darin findet sich Lüchinger selber wieder. Er kann besser auf seine Schauspielkarriere zurückschauen, wenn er etwas Abstand davon nimmt – aus einer anderen Rolle herausblickt. Denn eigentlich schaut Lüchinger immer nach vorne, weil ihn nur die Zukunft interessiert, wie er dem BREMER verrät. Zum Abschluss seiner Zeit in der bsc  reizte ihn dann doch die Retrospektive.

Wer einen Blick auf Lüchingers Schauspielkarriere in der bsc wirft, merkt schnell, dem Verwandlungskünstler ist es nicht fremd, in weibliche Rollen zu schlüpfen, wie in die von Perdita in Shakespeares ‘Wintermärchen’. Genauso begeisterte er als Titelfigur in ‘King Charles III’ und als Kaufmann von Venedig.

Auf zwei mal drei Metern lädt er nun als Anne-Marie das Publikum in ihr Wohnzimmer ein. Das Bühnenbild zeigt einzig Sofa, Stuhl und Tisch. Anne-Marie ist schätzungsweise um die 70 bis 80 Jahre alt und hat eine Karriere als Schauspielerin hinter sich. Große Berühmtheit erlangte sie jedoch im Gegensatz zu ihrer Kollegin Giselle nicht, die von Männern umschwärmt wurde, im Film Erfolge zählte, aber schließlich doch vereinsamte. In ihrem Monolog blickt Anne-Marie auf Leben, Beruf und ihre Rolle als Frau zurück.

Auf Augenhöhe, lebensnah und vor allem lebensbejahend, obwohl ihr alles weh tut – wie zum Beispiel ihr Knie – nimmt sie die Zuhörer:innen gefühlvoll, aber nicht traurig, mit in ihre Welt. Otteni beschreibt Anne-Maries Redensart so: „Es ist ein bisschen wie die Generation unserer Omas. Die Frauen leben und beklagen sich nicht.“

Nach seinem Abschied in der bsc wird Peter Lüchinger in Bremen bleiben. Er bewirbt sich auf das Amt als Schöffe. „Ich will noch etwas für die Gesellschaft tun die nächsten fünf Jahre“, sagt der Schauspieler über die Zukunft. Auch hegt er Vorstellungen für künstlerische Projekte, die er zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht verraten will. Für ihn ist trotz des Ausstiegs klar: „Ich gehe nicht weg, ich nehme ganz viel mit.“

 

Fotos: Marianne Menke

Chantal Moll

Premiere: 11. Mai um 19.30 Uhr, Theater am Leibnizplatz

Weitere Aufführungen: 12., 21. und 26. Mai, 16. und 29. Juni, jeweils um 19.30 Uhr, Theater am Leibnizplatz

Vorheriger ArtikelVerliebt
Nächster ArtikelDéjà Vu Clubclassics