Medienmacht – Daniel Wolff im Interview 

Medienmacht // Daniel Wolff ist ein deutschlandweit gefragter Digitaltrainer, der seit 2017 an Hunderten von Schulen mit Schüler:innen, Lehrkräften und Eltern im intensiven Austausch steht. Mit einem Hintergrund als IT-Journalist für CHIP, als US-Korrespondent im Silicon Valley sowie als Gymnasiallehrer und Dozent an der LMU München bringt er umfassende Expertise in Medienbildung und Digitalisierung mit. BREMER-Autorin Fanny Quest führte ein exklusives Interview mit Daniel Wolff über seinen Blick auf die digitale Welt und ihre Herausforderungen.

BREMER: Was sind die größten Online-Gefahren für Kinder?
Wolff: Kommt aufs Alter an: Bei den Kleinen geht es mit süchtigmachenden Handy-Spielen, mit dem versehentlichen Gucken von extremen Gewaltdarstellungen (auf YouTube laufen brutalste Ausschnitte vieler Horrorfilme und -spiele ab 16 oder ab 18) und Cybergrooming (Kontaktanbahnung durch Pädokriminelle) los. Später kommen dann Cybermobbing, Sexting (freiwilliges Senden eigener Nacktbilder), Hardcore-Pornographie, extremistische Inhalte, Online-Drogenhandel, Hass-Propaganda, Suizidforen und sogenannte Tasteless-/Gore-Angebote (Bilder von Leichen etc.) hinzu. Leider ist die Liste der Gefahren noch viel länger…
Wie beeinflussen soziale Medien und Spiele Kinder?
Die Empfehlungsalgorithmen  sind inzwischen so gut geworden, dass sie derart interessante Inhalte auf den Bildschirm zaubern, dass sie die Kinder schnell absolut in ihren Bann ziehen. Die echte Welt verblasst dagegen und wird schnell langweilig – wenn man sie lässt, machen die Kids nichts anderes mehr.
Warum sprechen Kinder nicht mit Eltern über negative Erlebnisse?
Sie haben ganz einfach Angst: Wenn ich meinen Eltern erzähle, dass ich im Internet etwas Schlechtes erlebt habe, nehmen sie mir vielleicht das Handy weg – eine durchaus begründete Sorge! Die meisten Eltern erfahren von den schlimmen Dingen auf den Smartphones ihrer Kinder deshalb nicht das Geringste…
Welche Fehler machen Eltern bei Smartphones?
Die Übergabe eines Smartphones ist ein lebensverändernder Moment, der sehr gut vorbereitet sein will – und vor allem am Anfang sollte man seine Kinder intensiv begleiten. Es braucht von Anfang an klare Regeln, wie man sie zum Beispiel auf www.mediennutzungsvertrag.de finden kann. Die wichtigste Regel aus meiner Sicht: Kein Smartphone im Bett! Auch nicht „nur kurz zum Musikhören“ und auch nicht „nur als Wecker“! Denn nachts läuft das immer schief mit den Smartphones, eher früher als später. Allerdings: Liebe Eltern, Ihr seid Vorbilder für Eure Kinder – kauft Euch also auch selbst einen Wecker und lasst das Smartphone ebenfalls draußen!
Wie können Eltern ihre Kinder besser schützen?
Sie sollten versuchen, eine gesunde „Tuchfühlung“ zu halten und sich für alles interessieren, was die Kinder im Internet machen – auch wenn das manchmal anstrengend sein kann. Außerdem sollte man seinen Kindern  vorab versprechen, dass man ihnen grundsätzlich wegen irgendwelcher Inhalte aus dem Internet das Smartphone niemals wegnehmen wird. Denn nur dann trauen sich die Kinder (vielleicht), ihren Eltern überhaupt irgendetwas zu erzählen…
Wie fördert man gesunden Medienkonsum?
Vor allem, indem man ihn vorlebt. Und vor allem auf alle Apps mit Hochkant-Kurzvideo-Formaten wie TikTok, YouTube Shorts, Instagram Reels und Snapchat Spotlights so lange es irgendwie geht, verzichtet. Die Engländer sagen: Delay, delay, delay!
Welche Regeln empfehlen Sie für Smartphone-Nutzung?
Das Wichtigste sind feste Nutzungszeiten, die auch eingehalten werden. Die brauchen wir, sonst ufert der Konsum ins Unendliche aus. Gute Empfehlungen dazu gibt’s zum Beispiel bei www.klicksafe.de. Und: Es gibt viel zu viele für Kinder gefährliche Apps! Eltern sollten daher vor allem am Anfang die Installation jeder einzelnen App ausdrücklich genehmigen – am besten per Kinderschutz-Software wie Apple Bildschirmzeit (für iPhones) oder Google Family Link (für Android-Smartphones).
Wie können Schulen besser vorbereiten?
Mit Medienerziehung kann man gar nicht zu früh beginnen – sie gehört schon ab der 1. Klasse in alle Lehrpläne! Ich wünsche mir zudem ein Fach namens „Digitalität“, in dem die Kinder lernen, wie das Internet ihr Leben beeinflusst, wie man souverän mit Endgeräten umgeht – und wie Künstliche Intelligenz unser Leben verändert. Wenn es nur Lehrkräfte für ein solches Fach gäbe!
Gibt es Fälle, die Sie besonders geprägt haben?
Ja, mir hat gleich an einem meiner ersten Termine an einer Grundschule ein Mädchen offenbart, sie wolle sich am nächsten Tag zum ersten Mal mit einem „11-jährigen Freund“ treffen, den sie auf TikTok kennengelernt habe. Dieser hätte ihr gesagt, sie solle davon auf keinen Fall ihren Eltern etwas erzählen und unbedingt alleine kommen. Das schien mir so gefährlich, dass ich den Fall der Schulleitung übergab. Resultat: Am nächsten Tag gab es tatsächlich einen Polizeieinsatz – und eine Verhaftung eines Pädokriminellen; mich gruselt es heute noch! Seitdem ist Prävention gegen Cybergrooming fester Bestandteil meiner Grundschul-Workshops.
Haben Sie einen Wunsch?
Ich wünsche mir, dass alle Kinder und Eltern wieder ohne Smartphones (und Tablets) schlafen lernen. Und dass es im Internet irgendwann einmal einen funktionierenden Jugendschutz gibt, damit die Kinder ihre Kindheit wieder länger genießen können!
Haben Sie ein Lebensmotto?
Wir schaffen das! Aufgeben gilt nicht – im Interesse unserer Kinder!

Was Kinder an ihren Smartphones erleben, ist oft erschreckend: Brutale Gewaltdarstellungen, abgrundtiefer Rassismus, Sexting mit katastrophalen Folgen und Glücksspiel-Abzocke in vermeintlich harmlosen Spielen. Doch die meisten sprechen nicht darüber. Eltern unterschätzen oft, wie mächtig digitale Medien auf ihre Kinder wirken. Viele geben Grundschülern ein Smartphone, ohne sie darauf vorzubereiten oder intensiv zu begleiten. Daniel Wolff, Digitaltrainer an deutschen Schulen, kennt die Realität der Kinder im Internet. Daniel Wolff zeigt, wie Eltern ihre Kinder schützen und gleichzeitig die Chancen der digitalen Welt nutzen können.
FQ

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