Dr. Tillmann Bendikowski – Die Spur des Silbers

Dr. Tillmann Bendikowski ist promovierter Historiker, Journalist und Gründer der Hamburger Medienagentur Geschichte. Bekannt aus TV-Formaten wie ‘DAS! historisch’ im NDR, begeistert er ein breites Publikum für historische Zusammenhänge. Als Autor veröffentlichte er zahlreiche Sachbuch-Bestseller, in denen er mit erzählerischer Kraft komplexe Geschichte verständlich macht – zuletzt über Aberglaube, Alltag im Dritten Reich und die deutsche Einheit. BREMER-Autorin Fanny Quest führte ein exklusives Interview mit Dr. Tillmann Bendikowski über sein neues Buch.
BREMER: Was hat dich an der Geschichte des Silbers fasziniert?
Dr. Tillmann Bendikowski: Wie die meisten Menschen habe ich Silber früher immer unterschätzt – es war sozusagen die kleine Schwester von Gold: weniger wert, weniger beachtenswert. Doch bei genauerem Hinschauen zeigt sich, dass dieses Edelmetall die Welt verändert hat. Es ist nämlich nicht nur schön anzusehen, es stand als weltweites Zahlungsmittel am Beginn des Welthandels. Silber war sozusagen das Schmiermittel der Globalisierung, wie wir sie heute kennen.
Was unterscheidet Silber historisch von Gold?
Silber war immer schon Zahlungsmittel, Gold war dies nur in den seltensten Fällen. Und Silber war in sehr viel größeren Mengen vorhanden – die gesamte Monetarisierung der Welt ging mit dem verfügbaren Silber einher. Wer Silber hatte, konnte ein gutes Leben führen, das war schon im Mittelalter so.
Wie hat Silber den globalen Handel verändert?
Als die Spanier in Mittel- und Südamerika riesige Silbervorkommen entdeckten, entwickelte sich ein regelrechter Strom dieses Edelmetalls zwischen Amerika und Europa, aber rasch auch zwischen Amerika und Asien – gerade in China war Silber begehrt. Und mit diesem Edelmetall bewegten sich nun auch die Waren des Welthandels zwischen den Kolonien: Seide, Porzellan und Tee aus Asien, Zucker oder Kakao aus Amerika, Fertigprodukte wie Leinen aus Europa und Sklaven aus Afrika – alles wurde durch das verfügbare Silber in Bewegung gesetzt.
Welche Rolle spielte es in der Kolonialzeit?
Spanien baute im 16. Jahrhundert das größte damals bekannte Kolonialreich in Amerika auf – und das Silber war der Kern dieses ausbeuterischen Geschäfts. Die Gier nach dem Edelmetall prägte das Auftreten der Europäer über Jahrhunderte. So schmuggelten beispielsweise die Engländer ab dem 18. Jahrhundert Opium nach China und machten Millionen Menschen gezielt drogenabhängig. So konnten sie die begehrten chinesischen Waren fortan mit Rauschgift bezahlen – und sparten bewusst ihr Silber.
Wie stark ist Silber mit Ausbeutung und Gewalt verbunden?
Schon die Silberproduktion war mit hohen Risiken und millionenfachem Leid verbunden – in den Silberminen Mexikos und Perus schufteten indigene Arbeiter unter denkbar schwersten Bedingungen. Aber das ist ja bis heute so geblieben, wenn wir daran denken, wie gegenwärtig die sogenannten ‘seltenen Erden’ gewonnen werden. Und vergessen wir nicht: Überall, wo das Silber floss, lauerten Diebe, Räuber und Piraten, Betrüger und Schmuggler!
Was war die folgenreichste Silberentdeckung?
Es gab verschiedene große Silbervorkommen – eines davon in Potosí, damals im spanischen Vizekönigreich Peru gelegen, heute in Bolivien. Die Mengen an Edelmetall, die die Europäer hier produzieren ließen, waren gewaltig: Zu Beginn des 17. Jahrhunderts stammten 40 Prozent allen Silbers, das auf der Welt zirkulierte, aus Potosí. Der Ort wurde zu einer Boomtown – bald wohnten dort so viele Menschen wie in London und Paris.
Wie wurde Silber im Nationalsozialismus genutzt?
Die NS-Zeit steht für einen der skrupellosesten Silberraubzüge der Neuzeit: Zunächst nahmen die Nazis den deutschen Juden nach der Pogromnacht von 1938 ihr gesamtes Edelmetall ab – allein in Hamburg wurden binnen weniger Monate rund 20 Tonnen Silber beschlagnahmt. Das wurde für industrielle Zwecke oder den Devisenhandel genutzt, aber auch die deutschen Museen bedienten sich üppig am Raubsilber. So manche Zuckerzange oder mancher Silberpokal dürfte sich heute noch in den Magazinen befinden. Und mit dem deutschen Eroberungskrieg nach 1939 raubten die Deutschen auch hemmungslos Silber aus den besetzten Ländern – von Privatpersonen ebenso wie von Nationalbanken.
Was verbindet historisches Silber mit heutigen Finanzmärkten? Welche Rolle könnte Silber in der Zukunft noch spielen – als Rohstoff oder als Wertanlage?
Silber ist ein wichtiger Rohstoff – aber ein begrenzt verfügbarer. Die Vorräte der heute bekannten Minen reichen rein rechnerisch, bei gleichbleibendem Verbrauch, noch für etwa 25 Jahre. Deshalb wird Recycling immer wichtiger. Silber wird überwiegend industriell genutzt – etwa bei der Herstellung von Batterien oder im Bau von Photovoltaikanlagen. Rund 20 Prozent des weltweiten Silbers werden als Wertanlage verwendet, die gleiche Menge für die Herstellung von Silberwaren oder Schmuck. Das ist zugleich die älteste Verwendung, die wir kennen. Kein Wunder, denn wie schon vor Hunderten von Jahren gilt auch heute noch: Kein Metall glänzt so hell wie Silber.
Gab es ein Fundstück, das dich besonders berührt hat?
Es gibt tatsächlich einen Silberlöffel meiner Großmutter, der mich beim Schreiben des Buches begleitet hat, weil er auf meinem Schreibtisch liegt. Niemand kann heute mehr sagen, wo das Ausgangsmaterial für diesen Löffel ursprünglich herkam – ob aus dem Harz oder aus Norwegen, aus Peru oder Mexiko. Silber wurde und wird immer wieder eingeschmolzen, sodass sich die Spuren seiner Herkunft verlieren. Aber ein Teil dieser Weltgeschichte steckt wohl auch in jedem Silberlöffel – deshalb behält er seinen festen Platz auf dem Schreibtisch.
FQ

Tillmann Bendikowski – Die Spur des Silbers
Silber – sagenumwoben, weich und wandelbar – hat über Jahrhunderte hinweg Macht, Reichtum, aber auch Ausbeutung und Elend gebracht. Bis heute spielt es eine zentrale Rolle – als Rohstoff, als Wertanlage und als Spiegel globaler Entwicklungen. Tillmann Bendikowski erzählt die Geschichte dieses Edelmetalls neu: eindrucksvoll, anschaulich und global vernetzt. Er folgt der Spur des Silbers durch die Jahrhunderte – von spanischen Silberminen und Sklaverei über Piraten, Silberflotten und Raubzüge bis zum Familiensilber der Gegenwart. Eine fesselnde Reise durch die Geschichte der Welt.





