Nora Blum im Interview – Radikale Freundlichkeit

Nora Blum, Psychologin und Unternehmerin, studierte in York und Cambridge und gründete mit Mitte 20 die erfolgreiche Online-Therapieplattform Selfapy. Als Geschäftsführerin baute sie das Unternehmen auf über 100 Mitarbeitende aus und wurde mehrfach für ihr Engagement im Bereich mentale Gesundheit ausgezeichnet. Nach mehr als sieben Jahren in der Start-up-Welt widmet sie sich nun ganz dem Thema Freundlichkeit. In ihrem Podcast, auf Bühnen und in TEDx-Talks spricht sie über empathisches Handeln im Alltag, in Unternehmen und in gesellschaftlichen Debatten. BREMER-Autorin Fanny Quest führte ein exklusives Interview mit Nora Blum über ihr erstes Buch.

BREMER: Warum wird Freundlichkeit oft mit Schwäche verwechselt?
Nora Blum: In unserer leistungsorientierten Gesellschaft wird Freundlichkeit häufig mit mangelnder Durchsetzungsfähigkeit gleichgesetzt. Man denkt, dass es besonders freundlich sei, zu allem Ja und Amen zu sagen. Dabei hat das eine mit dem anderen überhaupt nichts zu tun. Wir können sehr wohl für unsere Interessen eintreten und klare Grenzen setzen – und dabei freundlich und respektvoll bleiben.

Welche Auswirkungen hat Freundlichkeit auf unser Gehirn?
Freundliche Handlungen aktivieren im Gehirn Bereiche, die auch Belohnungszentren genannt werden. Diese Zentren befinden sich im sogenannten mesolimbischen System und werden aktiviert, wenn wir – evolutionär gesehen – „gutes“ Verhalten ausführen, wie etwas Leckeres essen oder Sex haben. Unser Gehirn schüttet bei Aktivierung dieser Belohnungszentren Glückshormone aus. Aus diesem Grund fühlt sich freundliches Verhalten für uns auch so gut an!

Inwiefern stärkt sie unsere Resilienz?
Freundlichkeit trägt zur Resilienz bei, indem sie unsere Beziehungen stärkt und unsere Lebenszufriedenheit erhöht. Menschen, die häufiger zu anderen freundlich sind, fühlen sich verbundener mit anderen Personen und weniger einsam. Daher können sie besser mit Stress umgehen und sich schneller von Rückschlägen er­holen.

Wie kann man auf Unfreundlichkeit reagieren, ohne selbst unfreundlich zu werden?
Schritt 1: Atmen. Drei bewusste Atemzüge in den Bauch beruhigen das Nervensystem und helfen uns, nicht aus einem Automatismus heraus unfreundlich zu reagieren. Schritt 2: Eine wohlwollende Er­klärung finden. Oft hat das un­freundliche Verhalten meines Ge­gen­übers nichts mit mir zu tun – vielleicht hatte die Person einfach einen schlechten Tag. Ich versuche, es nicht persönlich zu nehmen. Schritt 3: Ansprechen – aber aus einer Haltung der Freundlichkeit heraus.

Was macht eine konfliktfähige Freundlichkeit aus?
Viele Menschen glauben, es sei freundlich, Konflikten aus dem Weg zu gehen – dabei ist das nicht der Fall. Wir müssen in der Lage sein, Konflikte zu führen, jedoch auf Augenhöhe. Ich mag das Sprichwort: „Clear is kind.“ Konfliktfähige Freundlichkeit bedeutet dabei, in Auseinandersetzungen respektvoll und empathisch zu bleiben, während man gleichzeitig die eigenen Standpunkte klar vertritt. Es geht darum, aktiv zuzuhören, die Perspektive des Gegenübers zu verstehen und ge­meinsam nach Lösungen zu suchen.

Wie gelingt es, freundlich „Nein“ zu sagen?
Zunächst, indem man sich klarmacht, dass es durchaus freundlich ist, die eigenen Grenzen klar und authentisch zu kommunizieren. Ansonsten bleiben wir für unser Gegenüber wenig greifbar. Es ist wichtig, die eigenen Grenzen zu kennen und diese ehrlich zu äußern – nur so kann echte Nähe entstehen. Ein freundliches „Nein“ erfordert Klarheit und Empathie. Beispielsweise kann man Verständnis für die Bitte zeigen, die Gründe der Ablehnung erklären und, wenn gewünscht, alternative Lösungen anbieten.

Warum führt Freundlichkeit zu mehr Erfolg?
Studien zeigen, dass Freundlichkeit, emotionale Intelligenz und Sozialkompetenz sehr wohl zu mehr beruflichem Erfolg führen – solange diese Werte gepaart sind mit Durchsetzungsvermögen. Freund­­­lichkeit fördert ein positives Arbeitsumfeld, stärkt Team­arbeit und erhöht die Zufriedenheit der Mitarbeitenden. Im Ge­gensatz da­zu können schon kleine Momente der Unfreundlichkeit die Lei­s­tungs­fähigkeit einschränken, weil sie uns kognitive Energie rauben. Zudem öffnen sich durch freundliches Verhalten oft neue Netzwerke und Chancen, da Menschen eher bereit sind, Unterstützung zu bieten und Kooperationen einzugehen.

Wann wird Freundlichkeit ausgenutzt – und wie kann man sich davor schützen?
Freundlichkeit kann ausgenutzt werden, wenn sie mit mangelnder Abgrenzung einhergeht. Um sich zu schützen, ist es wichtig, klare Grenzen zu setzen und „Nein“ sagen zu können, ohne Schuldgefühle zu empfinden. Selbstbe­wusst­sein und das Bewusstsein über die eigenen Grenzen helfen dabei, freundlich zu bleiben, ohne sich ausnutzen zu lassen.

Was ist der beste erste Schritt zu mehr Freundlichkeit im Alltag?
Ein bewusster erster Schritt ist es, achtsam zu sein und die Menschen um einen herum wieder bewusster wahrzunehmen. Das heißt, wir dürfen das Handy auch ruhig mal in der Tasche behalten. Dies ermöglicht es, die Bedürfnisse anderer zu erkennen und entsprechend zu reagieren. Auch das tiefe Zuhören – ohne dabei im Kopf die eigene To-do-Liste durchzugehen oder nur darauf zu warten, selbst etwas sagen zu können – kann ein erster Schritt für mehr Freundlichkeit im Alltag sein.

Haben Sie einen Wunsch?
Mein Wunsch ist es, dass Freundlichkeit als die Stärke wahrgenommen wird, die sie ist. Ich möchte niemanden mit moralisch erhobenem Zeigefinger dazu be­wegen, freundlicher zu anderen zu sein – das muss jeder für sich entscheiden. Vielmehr möchte ich die Menschen daran erinnern, wie positiv sich freundliches Verhalten auf das eigene Wohlbefinden und unsere zwischenmenschlichen Be­ziehungen auswirkt – und somit das Beste ist, was wir für uns selbst tun können.

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In einer Welt, die immer schneller und anonymer wird, zeigt Nora Blum, warum Freundlichkeit wichtiger ist denn je. Die Psychologin und Unternehmerin betrachtet sie nicht als Schwäche, sondern als soziale Superkraft: Sie schafft Nähe, stärkt Gemeinschaft und hilft, selbst in schwierigen Momenten empathisch zu bleiben. In 14 Kapiteln vermittelt sie alltagstaugliche Wege, freundlicher zu handeln – ohne dabei die eigenen Grenzen zu vernachlässigen. Ein inspirierender Blick auf ein oft unterschätztes Werkzeug für mehr Lebensfreude und gesellschaftliches Miteinander.

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