West-Berlin nahm in den Jahren vor dem Mauerfall eine ganz eigene Position ein. Es war eine Zeit, in der dort alles möglich war. Auch ein völlig neues Klangkonzept. – Vor dem Konzert der Band Einstürzende Neubauten in Bremen sprachen wir mit Bandmitglied Alexander Hacke über die Gründungsphase und die aktuelle Situation.

Als Blixa Bargeld im Jahr 1980 gefragt wurde, ob er nicht im Berliner Moon-Club spielen wolle, rief er nach eigenen Angaben sofort ein paar Freunde an. Die Besetzung veränderte sich anfangs sehr häufig, pendelte sich aber schnell auf ein festes Team ein. Neben Blixa Bargeld und Andrew Unruh kamen FM Einheit und Marc Chung von der Hamburger Band Abwärts dazu sowie Alexander Hacke. Eine finanzielle Notsituation brachte Unruh schließlich dazu, sein Schlagzeug zu verkaufen. Daraufhin benutzte die Band ein Sortiment aus Alltagsgegenständen und Schrott als Instrumentarium. Während in der Anfangszeit der Band eher die Grenzen zwischen Musik und Geräusch ausgelotet wurden, sind die späteren Werke um einiges melodiöser, dadurch aber nicht weniger abstrakt.

Mit der Veröffentlichung ihres Debütalbums ‘Kollaps’ im November 1981 sagten Einstürzende Neubauten jeglichen bekannten Hörgewohnheiten den Kampf an. Aus konventioneller Sicht ist dieses Album schlichtweg unhörbar, doch es stellte einen Frontalangriff auf den abgestumpften Mainstream dar. Dieses non-konformistische Klangkonzept sollte ein völlig neues Musikverständnis prägen. Tatsächlich wurde das Album in den Jahren danach von vielen Künstlern der Industrial-Szene hoch gehandelt. Das Konstrukt Einstürzende Neubauten wurde mit seiner bahnbrechenden Mischung zu einer der wenigen deutschen Bands, die international einen echten Impuls aussendet und auf zahlreiche andere Bands bis heute inspirierend wirkt.
Anfangs noch von den Medien als bizarre Mauerstadt-Kuriosität belächelt, etablierte sich die Band schon bald zur international gefragten Größe der Gegenwarts- und Pop-Kultur. Sie prägten eine ganze Generation und dienen auch heute noch als oft kopierte Blaupausen experimenteller Klangkunst.

„Nicht nur die allgemeine Aufbruchstimmung der frühen achtziger Jahre, sondern vor allem der besondere Status der Stadt, die Wehrdienstverweigerer und Außenseiter aller Art anzog und ernähren konnte, trug dazu bei, dass auch wir, als Eingeborene, uns ganz dieser doch sehr speziellen Tätigkeit widmeten. Dass die Spuren des Weltkrieges noch so allgegenwärtig waren und man durch die Mauer auch den Kalten Krieg geradezu körperlich erfahren konnte, war natürlich eine entscheidende Inspiration, nicht nur für uns“, erläutert Bandmitglied Alexander Hacke. Aus diesem Chaos seien Strukturen entstanden, die immer noch einen großen Bestandteil der musikalischen Tätigkeit der Band ausmachen.

Bedingt durch ihre originäre und radikale Neudefinition des Begriffs ‘Musik’ gingen Einstürzende Neubauten nach ihrer wilden Anfangsphase oft ungewöhnliche und richtungsweisende Kooperationen wie mit dem japanischen Regisseur Sogho Iishi ein. Dabei sammelte die Band weitreichende Erfahrungen in euphorisch angenommenen Theater-Projekten mit renommierten Regisseuren und Dramaturgen wie Peter Zadek, Heiner Müller oder Leander Haußmann.

Im November 2016 erschien das erste heiß ersehnte ‘Greatest Hits’-Album der Band. Ein sorgfältig ausgewählter Querschnitt durch 35 Jahre Bandgeschichte. Wobei der Ausdruck ‘Greatest Hits’ natürlich mit einem Augenzwinkern zu verstehen ist. Alle Stücke wurden neu gemastert und, wie ursprünglich gewollt, mit Streichern und Bläsern ergänzt. Die einstige Berliner Mauerkrankheit haben Blixa Bargeld, Alexander Hacke und Andrew Unruh heute vollends besiegt.

„Heute sitzt hier die gesamtdeutsche Regierung, allein das bedeutet schon mal vollkommen andere Grundvoraussetzungen durch Bannmeile, Bundestagsabgeordnete und die allgemeinen Sicherheitsvorkehrungen einer Hauptstadt“, so Hacke weiter. Die apokalyptischen Visionen und Todessehnsüchte früherer Tage gehören schon längst der Vergangenheit an. Das ist vielleicht auch gut so, denn die Spielweise einiger Konzerte ihrer Anfangszeit war nicht für die Ewigkeit gedacht.

Aus ihrer Leidenschaft heraus zerschlugen sie Glasscheiben und warfen Molotow-Cocktails ins Publikum. Dabei wurde jedoch nie jemand außer den Bandmitgliedern selbst verletzt. Doch der nimmermüde Entdeckergeist der Band treibt noch heute ihre leidenschaftliche Suche nach dem unbekannten Geräusch voran.
Ruben Schiefke

Am 22. November im Metropol Theater

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