Oh, là, là: Frankreichs Schauspiel-Ikone Isabelle Huppert verblüfft bei diesem Coming-of-Age/Coming-Out-Drama, in dem sie einfach einmal nur sich selbst spielt. Als Star nutzt sie ihren Promi-Bonus, um einem Schauspiel-Schüler unter die Arme zu greifen.

Während des Vorspanns bereitet sich Marvin nervös auf seinen Theater-Auftritt vor: Die Premiere des selbstverfassten Stückes über sein Leben. Dann die Rückblende in die Kindheit.
In der Schule wird der Teenager gemobbt. Der Vater ein Säufer. Die Mutter ein emotionales Wrack. „Es geht um einen schlechten Start“, antwortet der erwachsene Marvin auf die Frage, wovon sein geplantes Theaterstück handeln werde. Regisseurin Anne Fontaine (‘Coco Chanel’) entwickelt ihr Drama mit parallel erzählten Geschichten von Marvin als Schüler und später als Student. Mit Rückblenden werden die beiden Lebensphasen angenehm unangestrengt verknüpft. Vom geknechteten, schwulen Arbeiterkind zum gefeierten, selbstbewussten Bühnenstar – das gehört zum Klassiker-Kabinett des Queer Cinema.
Mit der rigorosen Frische eines ‘Billy Elliot’ mag es dessen französischer Vetter nicht ganz aufnehmen. Dazu knirscht es etwas zu sehr im Klischee-Gebälk, den Figuren hätte man gerne mehr Entfaltung samt Widerhaken gegönnt und dafür auf manch verquastes Kunstgequatsche verzichtet. Trotz solcher Macken gelingt gleichwohl ein bewegendes Coming-of-Age/Coming-Out-Drama.
Als Pluspunkt erweist sich die Besetzung. Jules Porier und Finnegan Oldfield geben souverän den sensiblen Helden zwischen Verletzlichkeit und Trotz. Die Nebenfiguren haben sichtlich Spaß an ihren Kotzbrocken-Typen.
Und dann ist da natürlich die Huppert – wie man sie so, oh, là, là, im Kino noch nicht erlebt
hat.
Dieter Oßwald

F 2017; Regie: Anne Fontaine; Darsteller: Finnegan Oldfield, Gregory Gadebois, Vincent Macaigne, Isabelle Huppert, ab 5. Juli

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