Vivian Greven | Paula Modersohn-Becker
„Der Körper ist eine der stärksten Projektionsflächen, die wir kennen, und in der Fülle all dessen, was auf ihn projiziert wird, ist es eigentlich kaum möglich, ihn tatsächlich zu sehen,” erklärt Vivian Greven. Generell reflektiert sie die Körperlichkeit das Menschseins und sieht darin Parallelen in den Werken von Paula Modersohn-Becker.
Vivian Greven (38) zählt zu den vielbeachteten jungen Malerinnen ihrer Generation.
Für ihre erste große Ausstellung in Bremen hat die Düsseldorfer Künstlerin gemeinsam mit dem Museum ein Konzept erarbeitet, das Gemälde und Zeichnungen von Paula Modersohn-Becker (1876–1907) ihren eigenen gegenüberstellt. „Seit 2016 realisieren wir regelmäßig Ausstellungen, bei denen aktuelle künstlerische Positionen in einen Dialog mit unserer eigenen Sammlung treten. Der Blick einer zeitgenössischen Malerin wie Vivian Greven erlaubt eine neue Sicht auf das Werk unserer Hauskünstlerin”, verrät Dr. Frank Schmidt, Direktor des Paula Modersohn-Becker Museums.
Sowohl bei Vivian Greven als auch bei Paula Modersohn-Becker steht das Figurative im Zentrum ihres Schaffens und das, was zum Zeitpunkt ihrer Entstehung einst für die Werke Modersohn-Beckers galt, gilt heute für die Bilder von Vivian Greven: sie irritieren und faszinieren zugleich formal wie motivisch.
Vivian Greven bezieht ihre Figuren oft aus der Antike und Renaissance. Wenn uns in ihren Bildern, teils in riesigen Formaten, lediglich Fragmente dieses vollkommenen Menschenbildes dargeboten werden, befinden wir uns mitten im 21. Jahrhundert mit seinen Widersprüchen und komplexen Fragestellungen. Greven antwortet darauf mit den Mitteln der Malerei.
Durch die Fragmentierung bekannter Motive werden diese ihrer ursprünglichen Bedeutung beraubt. Von historischem wie inhaltlichem Ballast befreit, verlangen sie den Betrachter:innen eine neue Interpretation ab, können neu gedeutet und erfahren werden. Dabei gewinnen die Figuren in ihrer kühlen Distanziertheit eine faszinierende Aura. Die befremdliche Nähe eines sich in extremer Nahsicht an der Brust seiner Mutter nährenden Kindes oder die Hand, die die winzige Fehlstelle an einem ansonsten makellosen Körper sachte berührt, erzeugen starke, so nie gesehene Bilder. Diese wirken trotz ihres komplexen Aufbaus einfach und erscheinen in ihrer distanzierten Unnahbarkeit berührend nah.
Die glatten Oberflächen von Grevens Gemälden stehen im starken Gegensatz zu den pastosen, mitunter mit dem Pinselstil zerfurchten Farbaufträgen von Paula Modersohn-Becker. Sie erinnern nicht von ungefähr an die Bildschirme unserer heutigen mobilen Kommunikationsgeräte und stehen so für die Mechanismen medialer Bildproduktion: In Zeiten der Selbstoptimierung spiegeln sie in ihrer Makellosigkeit und Glätte ein Menschenbild, das weniger auf innere Werte, denn auf äußeren Schein angelegt ist. Der offenbar fehlenden Tiefe steht eine auratische Ausstrahlung entgegen, ein Leuchten, das aus den Figuren selbst zu kommen scheint.
Neben motivischen Bezügen – Mutterschaft und Selbstberührung – eint die Künstlerinnen jedoch eine weitere, tiefgründigere Verbindung: Beide streben nach einer überzeitlichen, von jeglicher Tagesaktualität entrückten Anmutung, wie sie vor allem in Aktdarstellungen zum Ausdruck kommt.
FR / LB
Vom 22. Juni bis 15. September im Paula Modersohn-Becker Museum, Bremen.
(FOTOS: Vivian Greven)