Online-Community – oder: Bremen empört sich

Da die sozialen Medien mittlerweile ein nicht mehr wegzudenkendes Instrument des zwischenmenschlichen Diskurses sind, scheint sich jeder noch so kleine Gehweg- oder Gartenzaunplausch in die Online-Communities zu verlagern. Mit Parolen, die man früher nur den berüchtigten Stammtischen zugesprochen hat, sorgen die Profis der Empörung hier für ordentlich Stimmung.

Wenn ich irgendwo warten muss oder mir öde ist, dann besuche ich meine Online-Community auf Facebook und Co.

Das ist mitunter richtig erheiternd, kann ich Ihnen sagen und kein Thema ist zu unwichtig, um sich nicht drüber aufzuregen. Auf diesen Vorurteils-Plattformen muss man nicht Jura studiert haben, um einen Schuldspruch loszulassen. Hier gibt es Ankläger, Richter und Henker, die sich ihren ganz eigenen ‚Rechtsstaat‘ auf stabiler Grundlage von Empörung und Moral zusammenbasteln.

Online-Community
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Lieblingsort der Bremer Profi-Aufreger scheinen die Stadtteilgruppen zu sein. Sie verstehen nicht, was ich Ihnen damit sagen will? Ich gebe ein paar Einblicke: Ein Foto vom Fußweg wird gepostet. Auf demselben befindet sich ein großer leerer Karton. Fotoüberschrift: „Das ist ja mal wieder nicht zu glauben!!!“ Darunter stehen 56 Kommentare aus der Community. „Das wird immer schlimmer hier!“, „Verschandelung der Natur!“, „Zu faul zum Recyceln…“, „Den müsste man in seinen Karton stecken und zukleben!“, um nur ein paar der Bemerkungen aufzuführen, mit denen dieser gar unverschämte Nichtsnutz von seinen Mitmenschen bedacht wird.

Als nächstes zu sehen sind ein paar schöne Impressionen eines Community-Mitglieds vom morgendlichen Sonnenaufgang über vernebelten Wiesen. Bildüberschrift: „Mein heutiger Weg zur Arbeit.“ Hierfür gibt es 38 Likes und 12 Kommentare – einige davon gar nicht so, wie man es jetzt erwarten würde.

Anstelle lobender Worte zu den wunderbaren Bildern ist zu lesen: „Wen interessiert Ihr Weg zur Arbeit, Frau X?!?“ oder: „Scheiß Klimakrise, macht alles kaputt…“, gefolgt von: „Die Welt geht unter und Du postest nur unwichtigen Spam!“ – mich juckt es in den Fingern und ich frage einen der Kommentarschreiber, ob er heute mit dem falschen Fuß aufgestanden ist. „So eine Frechheit!“, bekomme ich zur Antwort und „Beleidigung! Wo ist der Gruppen-Admin? Sie sollten gesperrt werden!“, oha, da hat meine Frage nach dem falschen Fuß wohl ins Schwarze getroffen, denke ich mir und schaue weiter.

Online-Community
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Es folgt eine Aufnahme von einem Menschen, der aussieht wie ein Paketbote. Darüber steht: „Aufpassen! Hier schleicht jemand rum und guckt sich alle Klingelschilder an. Der will bestimmt einbrechen!“ Das Foto wird zwölf Mal geteilt und die erste Kommentar-Reaktion lässt nicht lange auf sich warten: „Den hab‘ ich auch schonmal gesehen! Wie dreist! Sofort festnehmen!“ Eine Community-Teilnehmerin weist darauf hin, dass es ein wenig unvorsichtig ist, einfach ein Foto von jemandem ins Netz zu stellen, ohne zu wissen, ob derjenige wirklich etwas Böses im Schilde führt.

Aber solche Einwürfe sind hier unerwünscht: „Sowas ist wichtig! Wir haben ein Recht darauf, dass Verbrechen aufgeklärt werden!“, und: „Der Verbrecher ist selbst schuld, wenn er fotografiert wird!“, ist zu lesen, bis auf einmal ein weiterer Kommentar aufploppt: „Das ist unser neuer DHL-Bote. Der kennt sich noch nicht so richtig aus in unserem Stadtteil und deshalb muss er immer suchen.“ – Ohje, ob der arme Mann überhaupt eine Ahnung davon hat, wie er online in seinem neuen Zustellgebiet empfangen wurde? Der Mann ist nicht zu beneiden.

Dem Schalk in meinem Nacken kommt eine Idee. Ich mache ein Foto von meinem Fahrrad, das in meinem Garten an die Hecke gelehnt steht und poste es in besagter Stadtteil-Community. Meine Bildüberschrift: „Hier steht schon seit Wochen ein Fahrrad rum!“ – Drei wütende Emojis folgen und direkt ein Kommentar: „Umwelt-Frevel!“, danach schreibt jemand: „Unmöglich! Das ist eine Umwelt-Straftat!“ und: „Die Menschen werden immer rücksichtsloser. Einfach den Schrotthaufen irgendwo abstellen, das geht zu weit!“ So schnell wird man nolens-volens zum Umweltsünder abgestempelt.

Ich gucke mein Fahrrad an. Es könnte mal wieder geputzt werden, aber wie ein „Schrotthaufen“ sieht es eigentlich noch nicht aus. „Lass‘ die Leute reden“, hat ein weiser Mensch mal gesagt und „Audiatur et altera pars“ – „Man höre auch die andere Seite“– aber diese andere Seite scheint sich eher selten hier in der Online-Community zu Wort zu melden. Ich gehe raus, schnappe mir meinen „Schrotthaufen“ und drehe eine Runde durch meinen Stadtteil, der offline wunderschön ist.

Regina Gross

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(Fotos: freepik)

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