Vier Frauen in Wien ohne Klopapier
Vor Kurzem war ich mit drei Freundinnen in Wien – es war eine kurzweilige Woche, die tagsüber aus Kultur und Shopping und abends aus gutem Essen, begleitet von diversen Gläsern Muskateller, bestand. Wir hatten eine großartige Zeit, bis wir an einem Sonntag feststellen mussten, dass in unserem Airbnb kein Klopapier mehr war.
Die ‚Traveltussis‘, so unser Gruppenname im WhatsApp-Chat, setzen sich zusammen aus vier Akademikerinnen – da sind die Juristinnen Svea und ich, Stella, die Bauingenieurin und Anja, die Sprachwissenschaftlerin, die beiden Letzteren promoviert. Nachdem wir unsere Zeit in Wien gewissermaßen in einem kulturellen Vollrausch genossen hatten – Belvedere, Klimt, Schiele, Schönbrunn, Hundertwasser, Naschmarkt, Secession – setzte ein leerer Klorollenhalter in unserem Airbnb am Sonntag eine erstaunliche Dynamik in Gang, die sowohl unter moralphilosophischen als auch unter juristischen Gesichtspunkten äußerst bedenklich war.

Svea, eine Ausnahmejuristin mit nahezu übermenschlichem Organisationsgen und dem Talent, aufgrund der ihr innewohnenden Autorität andere innerhalb von drei Sekunden zum Stillschweigen zu bringen, wenn sie es drauf anlegt, stellte also fest: „Mädels, wir haben kein Klopapier mehr – und es ist Sonntag.“ – Unsere großartige, perfekte, patente Svea hatte natürlich die Flüge und die Unterkunft gebucht, die Museumsbesuche organisiert, unsere abendlich besuchten, jeweils wechselnden, Restaurants ausfindig gemacht und selbstredend auch das Wiener U-Bahnnetz im Kopf, wohingegen andere – also ich – nur die Lyrics von Vienna Calling beisteuern konnten. Sveas Tonfall ließ keine Zweifel offen – das hier war kein logistisches Versäumnis – das hier war ein Notstand: „Die Geschäfte haben zu, die Restaurants und Museen geöffnet, wir müssen eine Rolle klauen.“ – Und weil Svea das sagte, nickten wir alle. Niemand hinterfragte. Niemand diskutierte. So wie niemand mit dem Bundesverfassungsgericht streitet. Sveas Aura ließ keine Luft für Einspruch.

Den ersten Versuch wagte Anja – in einem Museum, dessen Namen ich hier bewusst nicht nenne. Der dortige Klopapierspender war ein Hightechgerät, das wahrscheinlich unter Mithilfe des österreichischen Bundeskriminalamts konzipiert wurde und die Thematik Klorollenklau direkt im Keim erstickte – man konnte sich Einzelblätter dort herausziehen – Einzelblätter – wer kommt denn bitteschön auf so eine Idee? Der zweite Versuch, diesmal war Stella dran, fand statt in einem dieser klassischen Wiener Kaffeehäuser. Wieder ein Reinfall, denn eine Jumborolle mit 30 Zentimetern Durchmesser lässt sich schwerlich unbemerkt in einer Damenhandtasche verstauen. Jetzt wurden wir schon ein wenig unruhig, denn der Sonntag war zwischenzeitlich schon ziemlich fortgeschritten.

In einem sehr schönen Feinkostbistro, in dem wir erschöpft einkehrten, um unseren Frust mit ein paar leckeren Häppchen zu verdauen und dann mit ein paar Gläsern Gelber Muskateller herunterzuspülen, machte Svea nach dem dritten Glas Vino einen erneuten Versuch und verschwand auf der Toilette. Dort blieb sie lange – sehr lange. Als sie schließlich 20 Minuten später wieder an unserem Tisch erschien, war ihre Frisur derangiert, ihr Gesicht leichenblass und ihr Montblanc Kugelschreiber bei dem Versuch, mit selbigem den Klorollenkasten unsachgemäß zu öffnen, zerbrochen. Außerdem: Fingernagelbruch. „Mädels“, zischte sie, „das hat schon wieder nicht geklappt und der olle Klorollenkasten hat jetzt auch eine Delle!“ – „Oha“, murmelte ich, „jetzt auch noch Sachbeschädigung“, woraufhin Svea mich mit dem ihr eigenen Blick, Sie wissen schon, diesem Drei-Sekunden-Blick, fixierte. Schwer ermattet von unseren gescheiterten Versuchen, das Zubehör für die elementarsten Bedürfnisse des Alltags zu organisieren, beschloss ich: Zivilisation schlägt Anarchie – und ging zum Tresen, wo ich den netten Kellner fragte, ob er uns notleidenden Frauen, die zu viert in einem Airbnb ohne Klopapier hausten, eventuell eine Rolle verkaufen könne. Hinter mir: Schnappatmung, Schnaufen und Zischen. „REGINA!“, kreischte Svea. „Das ist ja mal wieder typisch! Voll die Fremdschämaktion!“ – Und weg war sie. Wie ein dramatischer Opernabgang, nur ohne Musik. Wir blieben zurück. Ich, knallrot im Gesicht, aber standhaft, und Anja und Stella, die schon Google Maps für den Heimweg ohne Svea konsultierten.

Der Wiener Kellner, nicht uncharmant, zwinkerte mir zu, bat mich, kurz zu warten, kam nach ein paar Minuten wieder und überreichte mir: eine Rolle Klopapier, umwickelt mit einer breiten roten Schleife: „Na geh. Ihr seids zu viert im Airbnb und habt nix mehr? Des geht natürlich net!“ Svea hat am nächsten Tag übrigens wieder mit mir gesprochen und plant auch schon unsere nächste Reise – nicht ohne uns alle vorher schriftlich verpflichtet zu haben, unsere Koffer jeweils mit einer Rolle Klopapier zu bestücken. Patent ist sie ja, die Svea.
Regina Gross
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