Die #meToo-Debatte trat eine breite Diskussion über Sexismus und Machtmissbrauch los. Jenseits von Hollywood fällt die globale Unterdrückung von Frauen durch Religionen freilich gravierender aus.

Davon erzählen stellvertretend fünf Frauen aus fünf Glaubensrichtungen. Bei der strukturellen Zweiklassen-Gesellschaft von Mann und Frau sind sich die Fundamentalisten des Islam, des Judentums oder der katholischen Kirche erschreckend ähnlich. Die Geschichten klingen erschütternd und ermutigend zu­gleich: Denn diese Heldinnen wollen sich ihr Recht auf Selbstbestimmung nicht kampflos nehmen lassen. „Mein Großvater sah mich nur als Gebärmaschine“, klagt die Jüdin aus New York. „Ich begann mich dafür zu hassen, ein Mädchen zu sein“, sagt die Inderin. „Man verlernt wirklich, selber zu denken“, weiß die deutsche Klosterschülerin. „In Japan sollen Frauen nicht auffallen. Immer lächeln und sich nie beschweren“, berichtet eine vierte Protagonistin und eine Afrikanerin erzählt von 200 Millionen Verstümmelungen durch Beschneidungen weltweit.

Es sind Horrorgeschichten des alltäglichen Lebens, die in dieser Dokumentation der Schweizerin Barbara Miller von fünf Frauen erzählt werden. Deborah Feldman, die in einer ultraorthodoxen jüdischen Familie in New York aufwächst, muss als Teenager einen Mann heiraten, den sie gar nicht kennt. Im Bestseller ‘Unorthodox’ schildert sie später ihre grauenvollen Erfahrungen. Im jiddischen Dialekt, so ihr erschreckender Befund, gäbe es keinen Ausdruck für ‘Ich liebe dich’ oder ‘Zärtlichkeit’. Ähnliches kennt die in einer traditionellen hinduistischen Familie aufgewachsene Vithika Yadav: „Das Konzept von Liebe gibt es in Indien nicht“, berichtet sie. Und: „Die Sexualität der Frauen wurde immer im Namen der Religion kontrolliert.“ Vithika wehrt sich gegen solche Zustände, gründet mit ‘Love Matters’ die erste indische Sexualaufklärungsplattform. Und doch gibt es noch immer alle zwei Stunden eine Vergewaltigung in Indien.

Die in einer strenggläubigen muslimischen Familie aufgewachsene Leyla Hussein wurde als Mädchen genital verstümmelt und kämpft seit der Geburt ihrer Tochter gegen diese Form der Gewalt. Mit Knetmodellen führt sie drastisch vor, wie diese brutale Art der Beschneidung vor sich geht. Da wenden sich selbst harte Jungs entsetzt und angewidert von den Ritualen ihrer Religion ab. Auch gegen Kinderheiraten wehrt sich die Psychotherapeutin und Aktivistin vehement: „Das ist nichts als legalisierte Pädophilie. Nennen wir die Dinge beim Namen!“
Die Deutsche Doris Wagner berichtet, wie sie als strenggläubiges Mädchen in ein Kloster eintrat und von Priestern missbraucht wurde. Ihre traumatischen Erfahrungen verarbeitet sie später in einem Buch, um vor Doppelmoral und sexuellen Übergriffen der katholischen Kirche zu warnen. Für die japanische Manga- und Aktionskünstlerin Rokudenashiko geht es um die Freiheit der Kunst und die Verteufelung der weiblichen Sexualität in ihrem Land. Fünf Frauen aus ganz unterschiedlichen Kulturen und Religionen – und doch ähneln sich die Mechanismen der Unterdrückung.

Eine Doku, die zum Großteil aus Talking Heads besteht, braucht nicht nur interessante Köpfe, sondern auch solche, die gut und packend ihre Geschichten erzählen können. Diese Qualitäten bietet dieses Quintett, das seiner Regisseurin Miller sichtlich vertraut. Mit der quirligen Manga-Künstlerin bieten sich bisweilen sogar unterhaltsame Momente in dieser beklemmenden Bestandsaufnahme. Zugleich ist eine Ästhetik des Widerstands spürbar, wenn diese Frauen mit Mut und Lebensfreude sich diese verkrusteten Strukturen nicht mehr gefallen lassen wollen.
Dieter Oßwald

#Female Pleasure, Dokumentation, DEU, CHE, IND, JPN, USA, GBR 2018, R.: Barbara Miller, Filml.: 101 Min., Kinostart: 8. November

Vorheriger ArtikelLange Nacht der Industrie
Nächster ArtikelAufbruch zum Mond