Anlässlich des 200-jährigen Jubiläums der Veröffentlichung des Märchens ‘Die Bremer Stadtmusikanten’ wird der einzigartigen Tiertruppe durch die Kunsthalle Bremen und dem Staatsarchiv Bremen eine umfangreiche Sonderausstellung gewidmet.

Seit der Erstveröffentlichung des Märchens von den Bremer Stadtmusikanten im Jahr 1819 in den ‘Kinder- und Hausmärchen’ der Brüder Grimm fasziniert die Reise von Esel, Hund, Katze und Hahn Groß und Klein.

Das Märchen ist geprägt von der Suche nach einem würdevollen Leben. Das ist besonders beachtlich, weil zu Anfang des 19. Jahrhunderts Altersarmut und Missachtung für Gesinde und untere Bevölkerungsschichten Alltagserfahrungen waren. Obwohl die vier Märchenfiguren in der Erzählung nie in der Hansestadt Bremen ankommen, sind die Tiere und ihr Sehnsuchtsort zu einer begrifflichen Einheit geworden. In der Auseinandersetzung mit den historischen Hintergründen des beliebten Märchens zeigt die Ausstellung, dass dem Zielort und dem Beruf des Stadtmusikanten um 1819 Idealvorstellungen vorausgingen, die im Oberweserraum – der Herkunftsregion des Märchens – mit der alten Hanse- und Hafenstadt Bremen verbunden wurden.

Die erste Verbildlichung der Bremer Stadtmusikanten wurde 1823 von dem englischen Illustrator George Cruikshank gezeichnet. Seitdem wurden die Tiere in illustrierten Kinderbüchern immer weiter verniedlicht. Prägend war dort vor allem die Darstellung als Tierpyramide, die schon Cruikshank abbildete. Mit ihr begann schließlich der Siegeszug der aufeinander gestellten Tiere durch Märchenbücher, Sammelbilder und Postkartendrucke bis hin zu vielfältigen Adaptionen und Abwandlungen. Bis heute bietet die Tierpyramide vielfältige Ansatzpunkte für die künstlerische Auseinandersetzung. Neben Werken von Jeff Koons, Martin Creed und Mark Dion zeigen Maurizio Cattelans Plastiken (siehe oben), wie im Laufe der Zeit die Pyramidalform zum einprägsamen Signet des Märchens der Brüder Grimm wurde. Die Pyramide als Symbol des Märchens ist mittlerweile derartig verbreitet, dass der Bezug gar nicht zwingend vom Künstler oder von der Künstlerin selbst intendiert sein muss, sondern oftmals vom Betrachtenden automatisch hergestellt wird.

Das vor dem Eingang der Kunsthalle Bremen ausgestellte Werk ‘Pinpointing Progress’ des belgischen Künstlers Maarten Vanden Eynde verdeutlicht das nochmal. Seine Skulptur stapelt keine Tiere, sondern in Lettland produzierte Fahrzeuge und Apparate. Eynde fixierte sie wie präparierte Insekten mit einer riesigen Nadel. Je weiter sich die Pyramide nach oben verjüngt, desto jünger werden auch die Objekte.

Neben der Betrachtung der Bildsprache zeigt die Ausstellung, wie die zeitgenössische Kunst die dem Märchen zugrundeliegenden sozialkritischen Themen aufgreift. Das beinhaltet Themen wie Armut oder Ausgrenzung und Formen der Reaktion darauf. Arbeiten von Gimhongsok, Hiwa K und Boris Mikhailov verdeutlichen die tagesaktuelle Brisanz des Märchens, in dem Motive wie Wohnungs- und Heimatlosigkeit, Migration, Aufbegehren und
Solidarität in den Mittelpunkt gerückt werden. Die sozialkritisch aufgeladenen Werke laden zur Diskussion über und vor allem mit Bevölkerungsgruppen ein, die an den gesellschaftlichen Rand gedrängt werden.
Sara Suchalla

Die Ausstellung ‘Tierischer Aufstand. 200 Jahre Bremer Stadtmusikanten in Kunst, Kitsch und Gesellschaft’ läuft vom 23. März bis zum 1. September in der Kunsthalle Bremen

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