‘In Liebe, Eure Hilde’ // ‚Die stillen Helden sind manchmal wichtiger als die lauten‘
Sein ‘Sommer vorm Balkon’ verzauberte gut eine Million Besucher, seine Senioren-Sex-Komödie ‘Wolke 9’ sorgte bei Presse und Publikum gleichermaßen für Furore. Als nächstes Tabu wagte sich Andreas Dresen, 61, an das Thema Tod und Sterbehilfe mit ‘Halt auf freier Strecke’. Nun präsentiert der Regisseur mit ‘In Liebe, Eure Hilde’ ein Drama um den Widerstand in der NS-Zeit.
Die Premiere fand auf der Berlinale statt, dort traf unser Mitarbeiter Dieter Oßwald den Filmemacher und einstigen Verfassungsrichter.
BREMER: Herr Dresen, Sie haben für Ihren Film nicht auf den Fundus gesetzt, sondern die Kleidung bei H&M eingekauft. Weshalb diese Kostüm-Entscheidung?
Dresen: Wir haben nicht nur bei H&M eingekauft, wir nutzten alle möglichen Quellen bis hin zu Second Hand-Klamotten. Wir wollten bei der Kleidung eine kunterbunte Mischung, die sich von der Ausstattung der üblichen Nazi-Filme unterscheidet. Also keine Sepiafarben, keine polierten Stiefel oder wehende schwarz-rot-weiße Fahnen. Wir wollten nicht das Gefühl vermitteln, dass wir in eine weit entfernte Welt schauen, sondern junge Leute beobachten, die etwas mit jungen Leuten von heute zu tun haben. Es ging darum, die Erzählung näher an die Gegenwart zu rücken, denn sie hat auch etwas mit der Gegenwart zu tun.
Wie politisch waren diese beiden Widerstandskämpfer?
Hilde war nicht unpolitisch, aber sie ist sicher nicht eine von den Personen gewesen, die das Kommunistische Manifest gelesen haben und dann mit erhobener Faust losmarschiert sind. Sie hatte einen feinen Instinkt dafür, was richtig und was falsch ist. Das sind die stillen Helden, die manchmal vielleicht wichtiger sind als die lauten. Wann ist der Moment, an dem ich mich anpasse an ein System? Wann mache ich den Mund dagegen auf? Diese Frage muss sich jeder selbst beantworten
Sie zeigen die Nazis nicht wie oft üblich als brüllende Barbaren, sondern die sind bisweilen regelrecht freundlich. Was hat Sie zu dieser Darstellung bewogen?
Man kennt Nazis aus Filmen oft als prügelnde SA-Horden. Ich glaube aber, dass die Gesellschaft auch in dieser Zeit von den Mitläufern gelebt hat, von der schweigenden opportunistischen Masse, von denen, die einfach den vorhandenen Regeln gefolgt sind, selbst wenn sie vielleicht sogar Zweifel hatten. Auf diesem Fundament wächst die Gewalt von Einzelnen sowie jene institutionelle Gewalt, die in der furchtbaren Hinrichtung von Hilde ihr Gesicht zeigt. All das wird möglich durch das Schweigen der Mehrheit.
Ist das Böse ohne hässliche Fratze wirkungsvoller?
Ich fand es spannender, es auf nahbare Art zu schildern. Die Konsequenzen sind nicht weniger schrecklich, aber man kann sich nicht so leicht von den Figuren distanzieren. Man muss sich selber fragen, auf welcher Seite man gestanden hätte. Wo fängt denn der kleine, alltägliche Opportunismus, die Angepasstheit an? Das zielt ja nicht nur ins Politische. Wir praktizieren das Tag für Tag, schon im Gespräch mit unserem Chef.
Sie beginnen die Geschichte mit der Verhaftung von Hilde und erzählen sie dann mit Rückblenden. Weshalb diese Methode?
Als ich das Drehbuch zum ersten Mal bekommen habe, war das noch chronologisch erzählt. Zu Anfang die Liebesgeschichte, inklusive Widerstandskampf, danach das Gefängnisdrama mit der Geburt des Kindes und dem menschlichen Wachsen und Reifen von Hilde während der Gefangenschaft – bis hin zur Hinrichtung. Ich fand die Zweiteilung nicht so gut, weil ich das Gefühl hatte, dass der Film dadurch zerfällt. Zudem hatte ich den Eindruck, dass das unheimlich düster und schwer auszuhalten wird in der zweiten Hälfte. Deswegen wird die Liebesgeschichte nun auch rückwärts erzählt, damit wir dem Schrecken der Hinrichtung den hoffnungsvollen Moment eines Beginnens gegenüberstellen können.
Diese Liebesgeschichte wirkt sehr unbeschwert in solch schweren Zeiten…
Das waren junge Menschen, die nicht nur rund um die Uhr an Widerstandskampf gedacht haben, sie sind auch schwimmen gegangen oder waren Eis essen. Das hat sie mir persönlich sehr nahegebracht, als ich diese Fotos gesehen habe von der sogenannten ‘Roten Kapelle’, die sehr schön sind. Man denkt plötzlich, das könnte auch heute sein. Es gab sehr viel Freizügigkeit und sexuelle Freiheit. Wir deuten das ein bisschen an, all das finde ich schon sehr modern.
Einmal mehr geht es um Fragen von Würde und Moral. Woher rührt Ihr Interesse an diesen Themen?
Ich war elf Jahre lang in Brandenburg Verfassungsrichter und habe mich mit diesen Fragen natürlich aus allen möglichen Blickwinkeln sehr ausführlich beschäftigt. Es ist zwar keineswegs so, dass das jetzt direkt in die Filmarbeit hineinstrahlt, aber die Beziehung zwischen Individuum und Gesellschaft hat mich schon immer interessiert. Wie kann ich mich in einem Gemeinwesen moralisch verhalten, auch wenn ich vielleicht auf Widerstände stoße? Wie weit kann ich die Welt, in der ich lebe, beeinflussen oder sie einfach ein bisschen besser machen.
Was machen Sie als nächstes?
Ich arbeite am Kinderfilm ‘Die Weihnachtsgans Auguste’. Da geht es auch um Leben und Tod, allerdings auf ganz andere Art – von einer Gans.
Was tun Sie, wenn Sie nichts tun?
Ich habe mit einem Freund ein altes Segelboot und gehe im Sommer gerne auf den See. Ich finde das eine herrliche Sinnlosigkeit und habe keinerlei sportlichen Ehrgeiz dabei. Es ist sehr entspannend, vom Wind getrieben mit einem Boot hin und her zu fahren. Dabei Freunde zu treffen und Gespräche zu führen.
Dieter Oßwald
Interview mit Andreas Dresen zu ‘In Liebe, Eure Hilde’
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