Treasure – Familie ist ein fremdes Land // Ab 12. September im Kino

„Das Lachen ist eine wunderbar menschliche Reaktion“

Stephen Fry
Stephen Fry

Er ist ein guter Freund von Prince Charles und gilt in seiner Heimat als Kultfigur. Stephen Fry, geboren 1957, arbeitet als Schauspieler, Autor, Regisseur, Comedian und Moderator – seine Twitter-Gemeinde zählt über 12 Millionen Interessenten. Mit Rowan Atkinson tritt Fry in der Comedy-Serie „Blackadder“ auf, in Peter Jacksons Tolkien-Verfilmung „Der Hobbit“ gibt er den Bürgermeister von Esgaroth.

Große Popularität genießt seine unterhaltsame Wissenschaftssendung „Quite Interesting“, die seit 2003 in der BBC läuft. Als einer der ersten britischen Künstler bekennt sich Fry in den 80er Jahren offen zu seiner Homosexualität. Eine Glanzrolle gibt er als Titelheld in „Oscar Wilde“. Nun spielt er im Drama „Treasure – Familie ist ein fremdes Land“ einen Überlebenden des KZ Auschwitz, der mit seiner Tochter an den Ort des Grauens zurückkehrt. Mit dem Darsteller sprach unser Mitarbeiter Dieter Oßwald.

‚Treasure – Familie ist ein fremdes Land‘

BREMER: Mister Fry, beim letzten Gespräch haben Sie Ihr deutsches Lieblingswort verraten: „Oberaffenturbotittengeil“- Können wir diesmal auf deutsch reden?

Fry: Ich würde unser Gespräch lieber auf Englisch führen, weil meine Grammatik in Deutsch absolut schrecklich ist. Wobei ich mittlerweile ein Deutscher geworden bin, zumindest fast. Ich besitze einen österreichischen Pass und die doppelte Staatsbürgerschaft.

Wie kam es dazu?
Fry: Sowohl Österreich als auch Deutschland bieten Nachfahren von unter der NS-Herrschaft ermordeten oder verfolgten Juden die Möglichkeit, die Staatsbürgerschaft zu beantragen. Ich habe keine direkten deutschen Vorfahren, Mein Großvater war Ungar, und ich bin nicht sehr interessiert an der ungarischen Staatsbürgerschaft, solange Viktor Orban an der Macht ist. Aber meine Großmutter kam aus Wien. Also habe ich dieses Programm genutzt und sehr schnell und einfach die österreichische Staatsbürgerschaft bekommen. Ich bin sehr stolz darauf, ein stolzer Österreicher und ein stolzer Brite zu sein.

Bei der „Treasure“ Weltpremiere auf der Berlinale sagten Sie in einem Interview, Sie müssten unbedingt eine Nacht im Berghain verbringen. Was war das Ergebnis?
Fry: Wissen Sie was? Ich schäme mich, zu gestehen, dass ich nach unserer Premieren-Party im Soho House einfach zu müde war. Ich dachte, ich würde dem Ort nicht gerecht werden. Ich hatte das Glück, auf der Gästeliste eines DJs zu stehen, was selten vorkommt. Zwei Wochen vorher wurde Elon Musk abgewiesen. Sie ließen ihn nicht rein. Unglaublich, ich liebe das. Aber ich hoffe, wiederzukommen, wenn ich weniger müde bin.

„Treasure“ bietet etliche Pointen. Wie wichtig ist Humor bei einem solch ernsten Thema wie dem Holocaust?
Fry: Es ist immer riskant, Verallgemeinerungen über Kultur und Menschen zu machen. Aber wenn es ein Volk gibt, das Humor im Angesicht von Widrigkeiten nutzt, dann sind es die Juden. In Russland, Polen und Galizien, als es wieder Pogrome gab, nahmen sie ihre Geige, ihre Schachbücher, die heiligen Bücher und ihren Sinn für Humor mit. Das ist in ihrer Literatur, Musik, ihren Theaterstücken und ihrer Kultur deutlich zu sehen. Manchmal sind die Witze sehr dunkel.

Es gibt einen Lieblingswitz des ungarisch-jüdischen Physikers Johannes von Neumann. Ein polnisches Mädchen wird in Polen vergewaltigt und ermordet. Im nahe gelegenen Schtetl rennen alle Juden zur Synagoge, um zu besprechen, wie sie damit umgehen sollen, da sie wissen, dass sie dafür verantwortlich gemacht und bestraft werden. Der Präsident der Synagoge kommt freudig angerannt und sagt: „Keine Sorge, das Mädchen war jüdisch.“ Ein sehr dunkler Witz, aber viele Juden finden ihn treffend, weil es die Natur des Sündenbocks widerspiegelt.

Sie sind als Comedian längst Kult. Welche Rolle spielt Humor für Sie selbst?
Fry: Oscar Wilde sagte einmal: „Er ist nicht ernst genug, um Humor zu haben.“ Humor begleitet uns in den schwierigsten Zeiten. Ein Sinn für Humor zeigt eine absolute Verbindung zur Wahrheit der Dinge, und deshalb lachen wir. Es ist die wunderbarste menschliche Reaktion. Wenn ich einen Film ohne Humor sehe, ist es, als hätten die Schauspieler keine Nasen. Humor und Ernsthaftigkeit gehen Hand in Hand.

Humor zeigt eine tiefe Verbindung zur Wahrheit. Das Lachen ist eine wunderbare menschliche Reaktion und bedeutet nicht, dass man Dinge nicht ernst nimmt. Selbst in den schrecklichsten Situationen bleibt der menschliche Geist stark. Beethovens Musik, besonders der Wechsel von Moll zu Dur, symbolisiert diesen Triumph. Selbst in einer Welt voller Leid und Ungerechtigkeit gibt es etwas in uns, das dagegen ankämpft. Und es bedeutet sicherlich nicht, dass man Dinge nicht ernst nimmt. Um wieder mit Oscar Wilde zu sprechen: „Wenn du Dinge wirklich ernst nimmst, wirst du vieles darin finden, worüber du lachen kannst.“

Es gibt dieses YouTube-Video, in dem ein Überlebender und seine Tochter ein Konzentrationslager besuchen, begleitet von Gloria Gaynors „I Will Survive“. Es gab viel Kritik, aber er sagte, er könne das tun, weil er dort war. Was sagen Sie?
Fry: Natürlich kann er das. Wenn es jemand kann, dann so jemand. Aber die Leute neigen dazu, moralisch überlegen zu wirken, weil sie glauben, sie nehmen etwas ernster als andere. Sie kritisieren andere, die Musik hören oder lächeln, weil sie denken, diese nehmen es nicht ernst genug.

Das ist seltsam. In Philosophie-Seminaren malt man mit Kreide ein Knopf und sagt: „Wenn du diesen Knopf drückst, wird es kein Elend, keine Folter, kein Unglück, keinen Mord, keinen Missbrauch geben. Aber es wird keine Musik geben. Es wird kein Lachen geben. Es wird keine Kunst geben. Es wird keine Liebe geben. Drückst du den Knopf?“.

Und was antworten die Leute?
Fry: Es gibt keine richtige Antwort. Manche Leute werden ihn drücken. Die meisten Leute, aus irgendeinem Grund, werden es nicht. Wir leben in einer Welt, die verrückt genug ist, um Knochenkrebs und Kindesmissbrauch, Mord, Rassismus und Bosheit zu haben. Aber wir verstehen auch, dass es etwas in uns gibt, das diese Dinge bekämpfen kann. Es ist wirklich seltsam.

Erinnern Sie sich an Ihre Gefühle, als Sie das erste Mal ein Konzentrationslager besuchten?
Fry: Sehr deutlich. Auschwitz war das erste Konzentrationslager, das ich besuchte. Ich war überrascht, wie ordentlich und offen es war. Ich hatte riesige Mauern erwartet, dieses Gefühl der Bedrohung, das alles bedrohlich überragt. Aber es war alles so geplant, um die Opfer ruhig und hoffnungsvoll zu halten. Teil des Schreckens war die Täuschung. Die Soldaten dort wollten nicht, dass die Juden, die zu ihrem Tod geführt wurden, schrieen und in Panik gerieten. Sie wollten sie ruhig und hoffnungsvoll halten.

Also lächelten sie, als die Leute aus dem Zug stiegen, und sagten, Sie kommen hier entlang, der Arzt wird Sie untersuchen, und vergessen Sie nicht, Ihre Sachen mitzunehmen. Als sie sie zu den Duschen führten, die wir jetzt als Gaskammern kennen, sagten sie sogar: „Hängen Sie Ihre Kleider auf und merken Sie sich die Nummer Ihres Hakens, weil Sie zurückkommen wollen“. Diese banale, organisierte Art des Bösen haben mich schockiert.

Hannah Arendt hat dafür den Begriff „Banalität des Bösen“ geprägt.
Fry: Das ist, was Hannah Arendt die „Banalität des Bösen“ nannte. Es war alles so geplant, ruhig und einfach. Es erinnerte mich an eine Geflügelfarm. Wie Hühner und Truthähne dort für die Schlachtung gehalten werden. Es sah genauso aus. Zu diesem Bild kam die Vorstellung, dass meine Großeltern und ihre Kinder alle nach Auschwitz gebracht und ermordet wurden. Man stellt sich vor, wie sie aus dem Zug stiegen und sich fragten, was dieser Ort ist und was passieren wird, und warum es so seltsam riecht. Oh mein Gott, es ist eine außergewöhnliche Erfahrung.

Wie geht man mit der Erfahrung um?
Fry: Man macht alberne Witze. Es gibt den bekannten Billy Wilder Witz. Oder bei uns wird vom „Harvard der Todeslager“ gesprochen. Man will es verkleinern, genauso wie man die Nazis verkleinern will, weil man nicht möchte, dass es zu groß und furchteinflößend erscheint. Für eine Zeit waren sie gigantische Monster, aber jetzt wissen wir, dass sie kleine Männer waren. Wir unterschätzen nicht die Macht, die sie über Leben und Tod und das Schicksal Europas hatten. Aber gleichzeitig waren sie nicht groß.

John Cleese sagt über Sie: „Der wird niemals glücklich werden, wenn der immer so höflich ist.“
Fry: John fragte mich tatsächlich einmal, warum ich immer so verdammt höflich wäre. Darauf antwortete ich: „Ich weiß nicht“. Worauf er laut prustend meinte: „Da, jetzt entschuldigst du dich auch noch dafür!:“ Ich weiß wirklich nicht, woher das kommt. Wobei seine Aussage ja nicht unbedingt nur als Kompliment zu verstehen ist, sondern durchaus sehr irritierend klingen kann.

Inwiefern irritierend?
Fry: Das hängt mit der britischen Mentalität zusammen. Wenn ein Amerikaner einen Kaffee bestellt, sagt er ganz einfach: „Bringen Sie mir bitte einen Kaffee.“ Ein Deutscher fügt vielleicht noch „und zwar schnell!“ hinzu. Ein Engländer hingegen sagt: „Wäre es in Ordnung, wenn ich möglicherweise ein Tasse Kaffee haben könnte? Oder wäre es zu viel verlangt?“. Warum verhalten wir Engländer uns derart lächerlich?

Und wie lautet Ihre These?
Fry: Es gibt die Angst, als überheblich zu gelten. Es wäre unglaublich unbritisch, sich den Anschein von Arroganz zu geben. Das hat sich in das Gegenteil verkehrt, dass sich Engländer ständig für alles entschuldigen – was für Komiker eine enorme Fundgrube darstellt.

                      Dieter Oßwald

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