SHIRLEY HOLMES – Interview // Am 15. März um 20 Uhr, Lagerhaus
Gitarristin Mel, Bassistin Miss Ziggy und Schlagzeuger Chris machen seit 2007 die deutsche Musiklandschaft mit ihrem krachigen Indie-Punk-Mix unsicher. Ihr viertes Album ‘Mein bestes Selbst’ geht dabei so direkt wie nie zur Sache und hat neben viel Wut und Verzweiflung eben auch Humor und vor allem Mut und Hoffnung im Gepäck, die sich durch die wilde Energie der Band von der Bühne direkt auf ihr Publikum übertragen. Der BREMER hat mit der Band gesprochen:

BREMER: ‘Mein bestes Selbst’ trägt einen ironischen Titel und kommt optisch farbenfroh daher, während es inhaltlich düstere Themen wie Ängste, Depressionen, Misogynie, Homophobie und die allgemeine Überforderung in einer Welt voller Krisen behandelt. Wie entstehen diese Kontraste in eurer Musik?
SHIRLEY HOLMES: Das reflektiert die Widersprüche in uns selbst – die Spannung zwischen Wunsch und Wirklichkeit, dem Anspruch, mit den weltpolitischen Entwicklungen, den gesellschaftlichen Debatten vor der Haustür, dem Lagerdenken, der zunehmend aggressiven Rhetorik, egal, worüber gesprochen wird, gut und reflektiert umzugehen und nicht zu negativ zu sein, sich nicht so gehen zu lassen – und der bitteren Erkenntnis, an diesem Anspruch oft zu scheitern und alles einfach genauso schlimm zu finden, wie es ist. Da bestand die Kunst darin, textlich und/oder musikalisch eine Luke einzubauen, durch die Licht fallen kann. ‘Mein bestes Selbst’ soll dich im Idealfall auffangen, umarmen und mit Zuversicht und einem Energieschub wieder in die Realität entlassen.
Versteht ihr euch als eine politische Band – oder eher als eine Band, die sich unweigerlich mit politischen Themen auseinandersetzt?
Wir würden das ‘oder’ durch ein ‘und’ ersetzen. Wir sind alle drei politisch interessierte Menschen und auch, wenn Politisches in unseren Texten lange nur zwischen den Zeilen eine Rolle gespielt hat, waren wir als Band von Anfang an politisch durch Umfelder und Kontexte, in denen wir unterwegs waren und sind. Inzwischen drängen bestimmte Themen aber so vehement ins Bewusstsein, dass wir tatsächlich nicht umhinkommen, uns mit ihnen manchmal expliziter auch in den Songtexten zu befassen, weil uns alles andere inhaltlich dagegen gerade so belanglos und irrelevant erscheint.
Gerade in der aktuellen Musikszene werden Diversität und feministische Perspektiven zunehmend sichtbarer. Wie nehmt ihr diese Entwicklung wahr, und welche Veränderungen würdet ihr euch noch wünschen?
Es gibt gerade auch unter jüngeren Musiker:innen einen sehr coolen, reflektierten und selbstbewussten Feminismus, was wir natürlich gut finden. Und insgesamt ist das Thema Diversität mehr in den Vordergrund gerückt, es wird mehr mitgedacht, zumindest in unserer Bubble. Leider scheint es so, als hätte die gewisse gesellschaftliche Akzeptanz in dieser Frage außerhalb dieser Bubble ihren Zenit schon wieder überschritten, es deutet sich an vielen Stellen an, dass das Pendel gerade eher zurückschlägt. Es ist grotesk, wie sehr etwa die Selbstbezeichnung ‘Feministin’ teilweise sogar eigentlich offene und tolerante Menschen triggert. Wir würden uns mehr Zusammenhalt wünschen und ein sich erstmal nicht Verlieren in Details und Perfektionsansprüchen, dafür ist Zeit, wenn wir erstmal bei den Basics gemeinsam einen Schritt voran gekommen sind. Und mehr Unterstützung von Allies von der sogenannten privilegierten Front ist natürlich immer willkommen und würde helfen.

Glaubt ihr, dass Musik heute noch gesellschaftliche Veränderungen anstoßen kann?
Erstmal ist Musik Energie, Musik als Band zu machen und Konzerte spielen, ist geteilte Energie, die zu einem gemeinsamen Erlebnis wird, bei dem alle Beteiligten mindestens für eine Weile einer gemeinsamen Schwingung folgen und für sich etwas daraus ziehen. Es wird Zusammenhalt erzeugt und die Seele wird gestreichelt. Musik hat auf jeden Fall immer die Fähigkeit, Leute zusammenzubringen und gesellschaftliche Veränderungen zu begleiten und zu verstärken. Bei einer sehr großen und dedicated Fanbase sind die Effekte größer, aber auch im Kleinen, wenn man nicht gleich hunderttausende von Menschen in der Tiefe erreicht, hat das Auswirkungen. Uns wurde etwa schon oft gesagt, unsere Konzerte seien wie eine Therapie, man geht gebeutelt ins Konzert rein und kommt mit guter Laune und voller Energie wieder raus.
In Songs wie ‘Angst & Hobbys’ oder ‘Frage für einen Freund’ klingt vieles sehr persönlich. Basieren diese Texte auf eigenen Erlebnissen?
Ja, das tun tatsächlich beide. Auf früheren Alben haben wir persönliche Themen eher anders ‘verpackt’ und es hat sich viel zwischen den Zeilen abgespielt. Die Texte auf dem neuen Album sind sehr direkt – was keine bewusste Entscheidung war, sondern vielmehr so passiert ist. ‘Mein bestes Selbst’ hat viel mit Verarbeitung von Themen und Gefühlen zu tun, das war ein Prozess, aus dem wir viel für uns gezogen haben, auch wenn es manchmal hart war. Es fühlt sich tatsächlich auch nicht immer gut an, so viel preiszugeben – aber zum einen waren diese Themen und Gedanken einfach da, es ist also stimmig und authentisch, und zum anderen hilft es ja vielleicht anderen, zu sehen oder zu hören, dass sie in dieser wirklich herausfordernden Zeit mit ihren emotionalen Kämpfen nicht allein sind.
Was erwartet eure Fans bei der kommenden Show in Bremen und was verbindet euch mit der Stadt?
Bremen ist immer auch Homecoming für uns, da Chris (Drummer) in Bremen wohnt und in einer Studiogemeinschaft mit Timo Hollmann ist, zu dem wir eine enge Verbindung haben, wir proben oft in seinen Harbour Inn Studios und haben dort auch größtenteils das neue Album aufgenommen. Da ist es extra schön, das dann exakt hier auch live vorzutragen. Wir hatten in der Vergangenheit einige für uns wirklich tolle Konzerte in Bremen, z.B. in der DETE oder auf der Breminale, was uns auch publikumstechnisch tief mit Bremen connected hat. Im November haben wir dann noch mit den Beatsteaks hier gespielt, was auch so supercool war – und jetzt freuen wir uns wie Bolle darauf, mit den neuen Songs im Lagerhaus aufzuschlagen, sind gespannt, wer vorbeischaut und hoffen auf einen superschönen Abend mit Freund:innen, Fans und Gästen. Raus aus dem Alltag, rein ins Konzert! Ballast abschütteln, tanzen, singen, springen. Auftanken. Bämm!

Albumrezension aus dem März-BREMER:
Alternative Indie (Post-)Punk
SHIRLEY HOLMES
Mein bestes Selbst
Indigo / The Orchard

Auf ihrem vierten Album knallt das Berlin/Bremen-Trio seinen mitreißenden Mix aus Punk und Indie Rock so düster-bunt wie nie zuvor durch die Boxen. ‘Verstört’ bringt mit treibenden Bass- und Gitarrenklängen auf Deutsch und Englisch auf den Punk(t), was viele fühlen. Das rockige ‘Angst & Hobbys’ beschreibt Angstzustände in treffenden Sprachbildern wie „Andere sehen die Sonne, ich den Untergang“ und ist dazu noch ein unverschämt eingängiger Hit. Die Band begegnet schweren Themen mit einer Mischung aus Ernsthaftigkeit und ironischem Humor. So tritt das punkige ‘Koks oder Käse’ Immobilienbonzen mit Anlauf ans Schienbein. ‘Übermorgen’ setzt mit der Zeile ‘Ich wollte grade ein paar Sachen erledigen, doch dann haben die Sachen mich erledigt’ einen Leberhaken und macht trotzdem total Spaß. So wohltuend wie im gleichnamigen Song kann ‘Aggressive Musik’ sein. In der imaginären ‘Sommerstadt’ wird der Akku mit sonnigem Rock aufgeladen. Zum Schluss holen sich die drei Musiker:innen ‘Verstärkung’ und geben selbige mit dieser lauten und wehrhaft optimistischen Platte.
Der BREMER-Musikredakteur Christoph bewertete das Album mit ganzen 5 Sternen!
Hut Ab!
Shirley Holmes // Am 15. März um 20 Uhr, Lagerhaus
Hier bekommt Ihr mehr von SHIRLEY HOLMES! <———
Christoph Becker