Zwei Filme auf einen Streich in Cannes – das hat vor ihm noch keiner geschafft. Neben der Künstlerbiografie ‘Anselm – Das Rauschen der Zeit’ in 3-D präsentierte Wim Wenders mit 78 auch ‘Perfect Days’, eine Hommage an die Toiletten von Tokio. Die sind von führenden Architekten entworfen und absolut kein Vergleich mit hiesigen Klos. Erzählt wird die Geschichte eines bescheidenen Toiletten-Mannes, der ausgesprochen glücklich mit seinem minimalistischen Leben zu sein scheint. Ein paar Bücher, ein bisschen Musik aus dem Kassettenrekorder und die Erfüllung bei der Arbeit. Mit dem Regisseur unterhielt sich Dieter Oßwald.
BREMER: In der Szene im Schallplattengeschäft gibt es einen Statisten, der aussieht wie Wim Wenders. Falls Sie es tatsächlich sind, wäre das Ihr erster Cameo-Auftritt?
Wim Wenders: Ich bin es tatsächlich, allerdings ist dies nicht mein erster Cameo-Auftritt. Es gibt ein gutes Dutzend solcher Gastauftritte von mir in meinen Filmen. Aber die sind alle dezent, man verpasst mich auch immer ganz schnell. Im Schallplattengeschäft hatten wir nur drei Statisten. Auf der rechten Seite im Bild fehlte jemand, deswegen habe ich mich selbst dort hingestellt. Ich habe mich da sehr wohlgefühlt, in diesem ganz wunderbaren Laden mit Schallplatten und sogar Kassetten.
In einer anderen Szene, in einem Badehaus, steht ein älterer Besucher auf. Und ihm klebt beim Aufstehen der Stuhl am nackten Hintern. War das schöner Zufall oder inszeniert?
Wir haben diese Einstellung, wie so viele, nur einmal gedreht. Ob beim zweiten Mal der Hocker auch geklebt hätte, bleibt Spekulation.
Komik spielt in Ihren Filmen gemeinhin keine so große Rolle. Dieses Mal gibt es einiges zu lachen. Muss man bei Wenders fortan auch an lustig denken?
Man sollte bei Wenders durchaus an Lustig denken, so heißt mein Kameramann mit Nachnamen. Bei diesem Projekt hatte ich einen sehr großen Spielraum, weil mir niemand über die Schulter geschaut hat. Bei so viel Freiheit hat es Spaß gemacht, hin und wieder auch ein bisschen was Komisches einfließen zu lassen.
In der Schluss-Sequenz schaut Ihr Darsteller Koji Yakusho einen ganzen Song lang in die Kamera und spiegelt in seinem Gesicht ganze Gefühlswelten. Wie hieß dabei Ihre Regieanweisung?
Die Szene stand so im Drehbuch: Hirayama hört den Song ‘Feeling Good’ von Nina Simone in seiner ganzen Länge und hört ihm dabei genau zu. Der ganze Text stand ebenfalls im Skript, übersetzt auf japanisch. Koji Yakusho wusste also sehr genau, worum es in diesem Lied geht. Und er wusste, weshalb ich dabei mit der Kamera auf seinem Gesicht bleiben wollte. Ihm war auch völlig klar, dass diese Szene die letzte Einstellung des Films sein würde. Er wusste, es ging um alles! (lacht)
Wie oft haben Sie diese Szene gedreht?
Die Szene haben wir zweimal gedreht. Beim ersten Mal von der Seite, mit Kameramann Franz Lustig neben ihm. Das war eigentlich nur für den Anfang, als er die Kassette einlegt, aber wir haben das trotzdem in ganzer Länge gedreht. Ich saß hinten im Auto mit dem Monitor auf dem Schoß. Und Hirayama war gewaltig! Aber wie ich einmal auf den Franz rübergucke, sehe ich, dass der hinter der Kamera Rotz und Tränen heult. Ich habe nur noch gebetet, dass Franz durchhält! Das zweite Mal von vorn haben wir nicht im fahrenden Auto gedreht, sondern auf einem Parkplatz, vor einem Greenscreen. Koji Yakusho wusste, dass dies jetzt endgültig die letzte Aufnahme des Films war und hat nochmal alles gegeben. Da hat dann nicht nur Franz geheult, sondern ich auch. So was hatte ich noch nie gesehen, wie einer gleichzeitig weint und lacht.
Die Frage liegt nahe, ob man mit diesem glücklichen Klo-Putzer und seinem minimalistischen Leben vielleicht tauschen wollte. Wie wäre Ihre Antwort?
Die Frage ist gerechtfertigt. Meine Antwort wäre: lieber heute als morgen. Aber wenn, dann würde ich mit meiner Frau Donata einziehen wollen. Da bräuchte man also einen Doppel-Futon (lacht).  Mit meinem Kameramann Franz Lustig habe ich vor dem ersten Drehtag im Schlafsack eine Nacht in dieser kleinen Wohnung zugebracht. Um vier Uhr früh sind wir aufgestanden, um zu sehen, wie sich das Licht in dem Raum verändert. Das haben wir den ganzen Tag lang beobachtet. Ich kann also behaupten, dass ich dort gerne wohnen würde. Eine sehr verlockende Vorstellung!
Wäre ‘Perfect Days’ nicht auch ein schöner Film für den Papst?
Der Papst geht nicht ins Kino. Auf meine damalige Frage, welchen Film er zuletzt gesehen hätte, meinte er ‘Das Wunder von Mailand’ – und der ist von 1951. ‘Perfect Days’ würde dem Papst aber bestimmt gefallen, da bin ich ganz sicher.
Wie hätte Lou Reed Ihr Film gefallen, der seinen berühmten Song zum Titel macht?
Laurie Anderson, seine Witwe, hat den Film sehr geliebt. Auch Lou hätte der Film sicher gefallen, er hatte eine große Affinität zu japanischem Kampfsport und japanischer Spiritualität.
Japan übt für viele Menschen eine Faszination aus. Neben den Toiletten von Star-Architekten zeigen Sie eine Vorstadt, die eher trist als eindrucksvoll wirkt…
Tokio ist an einigen Stellen wie Science-Fiction von vorgestern. Für die Olympischen Spiele 1964 wurden etwa diese dreistöckigen Highways gebaut, um die Verkehrsprobleme zu lösen. Damit kommt man nach wie vor recht zügig durch die Stadt. Aber man will dort natürlich nicht wohnen, wenn die Autos im dritten Stock am Fenster vorbei fahren. Bei meinem ersten Besuch 1977 hatte mich das noch wahnsinnig beeindruckt. Aber Beton wird eben auch alt. Diese Gegend ist der Gegenpol zu den eindrucksvollen Toiletten der Star-Architekten, die sich alle im Vergnügungsviertel Shibuya befinden.
Wie fühlt man sich auf so einer Toilette eines Star-Architekten?
Man fühlt sich sehr gut aufgehoben. Man fühlt sich willkommen. Es ist wirklich sauber. Die Toilette ist beheizt. Und man kann sich aussuchen, mit welcher Art von Spülung man sich säubern möchte. Papier benötigt man lediglich zum Trocken – und daran kann man sich tatsächlich unglaublich gewöhnen. Wenn man zurück in Deutschland ist, denkt man: Weshalb haben wir so etwas bei uns denn nicht!

 

Perfect Days

Maximaler Minimalismus lautet das Motto von Hirayama. In seinem winzigen Zimmer gibt es eine Futon-Matte, ein paar Bücher und eine kleine Lampe. Ähnlich spartanisch das Waschbecken. Den Kaffee besorgt er aus einem Automaten vor dem Haus. Zum Duschen nutzt er ein öffentliches Badehaus. Bücher und ein bisschen Musik aus dem Kassettenrekorder sind der ganze Luxus dieses bescheidenen Helden – und ab und an noch ein diskreter Flirt mit einer Restaurantbesitzerin.

 

Mit Leidenschaft rettet er Baumkinder und päppelt die Pflänzchen liebevoll auf. Auch seine Arbeit erfüllt ihn mit Genugtuung. Dabei ist dieser Job im wahrsten Sinne des Wortes beschissen. Hirayama reinigt Toiletten in Tokio. Keine normalen Klos, wohlgemerkt. Sondern allesamt erbaut von japanischen Star-Architekten.
Entsprechend achtsam geht die Kundschaft mit den öffentlichen Bedürfnisanstalten um – Lichtjahre entfernt von hiesigen Verhältnissen. Nach Feierabend gönnt Hirayama sich in der Kneipe ein Glas Wasser. Liest ein Buch. Pflegt seine Pflanzen. Als seine Nichte überraschend vor der Tür steht, kommt eine klitzekleine Prise Aufregung auf. Danach gehen die Rituale wie ein Uhrwerk weiter. Eigentlich wollte Wim Wenders eine Doku über diese ungewöhnlichen Toiletten drehen. Dass er spontan einen Spielfilm daraus entwickelte, erweist sich als Glücksfall. Lakonisch. Poetisch. Von überwältigender Schlichtheit. Und so komisch wie kein Wenders zuvor. Hauptdarsteller und Cannes-Gewinner Koji Yakusho, in Japan ein Mega-Star, ist zum Niederknien. Fast ohne Worte und mit ganz wenigen Gesten zelebriert er höchste Schauspielkunst, die in einem Finale gipfelt, wie man es so noch nie gesehen hat. Nicht minder grandios der Soundtrack von Patti Smith über Van Morrisson bis Lou Reed und dessen ‘Perfect Day’. Dopamim-Kino, welches man keinesfalls versäumen sollte.
Perfect Days, Koji Yakusho und Arisa Nakano
Perfect Days, Koji Yakusho und Arisa Nakano
Japan 2023, Drama / Komödie ; Regie: Wim Wenders; Darsteller: Koji Yakushom, Min Tanaka, Arisa Nakoano
Dieter Oßwald

(Foto: Peter Lindbergh, MASTER MIND Ltd)

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