Melanie Pignitter im Interview// Alte Wunden heilen

Melanie Pignitter ist diplomierte Mental- und Selbstliebetrainerin und war fünf Jahre als Business-Coach und Kommunikationstrainerin tätig. 2015 befand sie sich in der größten Krise ihres Lebens – die sie durch Mental- und Selbstliebetraining überwand. Sie inspiriert mit ihrem Erfolgsblog und -podcast ‘Honigperlen’ und dem gleichnamigen Spiegel-Bestseller sowie mit den Titeln ‘Es ist ein Geschenk, dass es dich gibt’ und ‘Wenn ein Satz dein Leben verändert’. Über ihre Social-Media-Präsenz (@honigperlenmelanie) erreicht sie regelmäßig 1-2 Millionen Menschen. Ihre Spezialgebiete sind Selbstliebe, Selbstwertgefühl, Resilienz, Innere-Kind-Arbeit und Loslassen. Sie bietet Mentaltrainings, Workshops, Online-Lehrgänge und Kurse an. BREMER-Autorin Fanny Quest führte ein exklusives Interview mit Melanie Pignitter über ihr neues Buch.

BREMER: Warum spielt Leid eine wesentliche Rolle im Heilungsprozess?
Melanie Pignitter: Leid ist sozusagen ein Veränderungsbooster. Viele kennen das auch vom körperlichen Aspekt. Meist sind wir erst bereit, uns gesünder zu ernähren oder Heilgymnastik zu machen, wenn es bereits schmerzt. Ähnlich ist das mit unserer Psyche. Leid ist oft der Motivationsgrund, uns tiefer mit uns selbst auseinanderzusetzen und heilsame Wege zu gehen.

Woran können Menschen erkennen, dass ihr Inneres Kind verletzt ist?
Ein häufiger Indikator ist, wenn man immer wieder dieselbe Kränkung, dieselbe Enttäuschung oder denselben Schmerz erlebt. Meist haben wir diesen Schmerz dann ähnlich bereits in der Kindheit erlebt und es kommt zu einer Schmerzwiederholung, die durch unterschiedliche Faktoren ausgelöst wird. Aber auch Schutzstrategien wie Harmoniesucht, immer etwas leisten, Klammern, Flüchten, das Helfersyndrom oder Perfektionismus sind ziemlich deutliche Anzeichen.

Wie wichtig ist es, die Wunden des Inneren Kindes zu verstehen, bevor man mit der Heilung beginnt?
Essentiell! Nur, wenn wir erfahren, was wir damals so schmerzlich vermisst haben, sind wir in der Lage, uns genau das heute zu geben. Nur, wenn wir erfahren, welche Schutzstrategien wir uns angeeignet haben, die damals als Kind zwar hilfreich waren, aber heute hinderlich sind, können wir bewusst beginnen, unser Denken und Handeln zu verändern. Nur, wenn wir erfahren, wo es in der Kindheit einen Mangel gab, können wir ganz bewusst anfangen, uns emotional nachzunähren.

Wie können tiefsitzende emotionale Wunden aus der Kindheit unser
Erwachsenenleben beeinflussen?
Wir werden quasi immer dann, wenn uns etwas an den Schmerz oder die Kränkung, die wir in der Kindheit erlebt haben, erinnert, wieder in das Damals zurückversetzt. Kurzum: Wir werden getriggert und das ruft eine Reaktion hervor, die wir eigentlich gar nicht haben wollen. Beispiele dafür sind die bereits erwähnten Schutzstrategien – das sind Verhaltensweisen, mit denen wir uns unbewusst selbst sabotieren.

Welche Rolle spielt Reparenting in deinem Konzept und wie kann es zur Heilung beitragen?
Reparenting kommt aus der Psychotherapie und bedeutet Nachbeelterung. In der Regel übernimmt der Therapeut dabei die Rolle des Nachnährers und lässt dem Klienten das zukommen, was ihm in der Kindheit gefehlt hat. Zum Beispiel: Aufmerksamkeit, Liebe und Bestätigung. Ich habe diesen Ansatz in meinem Buch aufgegriffen. Der Leser erfährt zuerst Schritt für Schritt, was ihm gefehlt hat und wo sein Innerer- Kind-Schmerz liegt, um dann genau an diesen Stellen via individuell angepasster Audios von mir seine Nachbeelterung zu erhalten. Zwar ersetze ich damit keinen Therapeuten, aber mein adaptierter Ansatz funktioniert laut Leserfeedback erstaunlich gut.

Was sind die häufigsten Hindernisse bei der Heilungsarbeit mit dem Inneren Kind und wie überwindet man sie?
Ein häufiges Hindernis ist das schlechte Gewissen, was bei vielen Menschen ihren Eltern gegenüber entsteht. Hier ist es wichtig, sich bewusst zu machen, dass es bei der Inneren-Kind- Arbeit, so wie ich sie praktiziere, nicht darum geht, den Eltern die alleinige Schuld in die Schuhe zu schieben. Ein weiteres Hindernis bei der klassischen Inneren-Kind- Arbeit ist es, dass man sich dabei selbst als erwachsenes starkes Ich und dann nochmal als kindliches, bedürftiges Ich vorstellt.

Das erwachsene Ich lässt dem kindlichen Ich dann liebevolle Worte und Stärke zukommen. Genau das funktioniert aber bei vielen nicht. Einfach deshalb, weil sich viele in ihrer Erwachsenenrolle nicht stark und selbstbewusst fühlen.

Können negative Erfahrungen aus der Kindheit auch positive Auswirkungen auf unser Leben haben?
Jede Wunde, die wir erlitten haben, formt uns. Vielleicht hätten wir sonst niemals die wunderbare Empathie und Feinfühligkeit, die Zielstrebigkeit, das tiefe Verständnis für andere oder das Durchhaltevermögen, das wir heute haben, entwickelt.
Welche Bedeutung hat die Selbstliebe in der Arbeit mit dem Inneren Kind, und wie kann man sie fördern?
Selbstliebe und Innere-Kind- Arbeit gehen Hand in Hand miteinander. Wer liebevoll für sein inneres Kind sorgt, der sorgt schließlich auch liebevoll für sich selbst. Innere-Kind-Arbeit kann uns außerdem dabei helfen, zu verstehen, warum wir sind, wie wir sind und das wiederum erleichtert die ganzheitliche Annahme unserer Person – also die Selbstliebe.

Inwiefern hat deine persönliche Krise deinen Lebensweg beeinflusst?
Als ich vor einigen Jahren schwer erkrankte, konnte ich dem natürlich erstmals nichts Positives abgewinnen. Im Nachhinein aber war es das größte Glück. Denn die Krise hat mich auf neue Lebenswege geführt. Ich habe dadurch meine Beziehungen und meinen Beruf verändert. Ohne meinen damaligen Schmerz wäre ich niemals Autorin geworden. Ich könnte also heute nicht meine Berufung leben. Und das ist nur ein Aspekt der vielen Gewinne, die mir die Krise beschert hat.

Hast du ein Lebensmotto?
Honigperlen – Was aussieht wie ein Klecker-Malheur, das können bei genauerer Betrachtung wunderschöne Honigperlen sein. Oder anders gesagt: Das Leben verpackt seine Geschenke häufig in Probleme.

FQ

Wenn das Kind in dir noch immer weint

Dieses Buch bietet einen einzigartigen Ansatz zur Heilung des Inneren Kindes. Es legt die psychologische Basis, um Kindheitswunden zu verstehen, und präsentiert wirksame Übungen und Tools für die Heilungsarbeit. Besonders hervorzuheben ist die emotionale Verbindung zum Leser, die Reparenting – also heilsames Nachbeeltern – ermöglicht. Dadurch kann die vermisste elterliche Liebe direkt beim Lesen erfahren werden. Ein tiefgreifend veränderndes Buch, das nicht nur Verständnis, sondern auch praktische Wege zur Heilung des Inneren Kindes bietet.
Gräfe und Unzer Verlag 19,99€

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