Als ich vier Jahre alt war, bekam ich von meiner schwedischen Tante ein Buch mit dem Titel ‘Så funkar det’, was soviel bedeutet wie ‘So funktioniert das’. Es erklärte mit anschaulichen Bildern die Funktionsweise aller möglichen technischen Geräte und sorgte dafür, dass ich fortan nicht mehr versuchte, den Fernseher meiner Eltern aufzuschrauben, um den schwarz-weißen Hund, den ich mal in einer Kindersendung gesehen hatte, dort herauszuholen, damit er bei uns wohnen kann.
Mein Vater war heilfroh, dass es endlich dieses Buch in meinem Leben gab, denn ich hatte bis zu diesem Zeitpunkt unter Zuhilfenahme seines Werkzeugkastens schon seine Kamera, den Toaster, diverse Kugelschreiber und die Nähmaschine meiner Oma auseinandergenommen. Das Problem war, dass es ihm nicht mehr gelang, das Ganze wieder vernünftig zusammenzubauen und ich hatte ab dem Zeitpunkt, wo ich das alles in Einzelteile zerlegt hatte, das Interesse an diesen Geräten verloren, weil ich dann ja wusste, wie sie innen drin aussahen.
Wir hatten auch schon Stress bei Karstadt bekommen, weil ich es mir partout nicht nehmen ließ, bei jedem Besuch dort den Stopp-Knopf der Rolltreppe zu drücken, um mal genau untersuchen zu können, wo diese ganzen Treppenstufen, die da durch die Gegend rollten, rauskamen.
Wie all diese Sachen funktionieren und wie sie von innen aussehen, das erklärte mir jetzt das Buch.
Es zeigte auch, wie man ganz einfach ein eigenes Telefon mit Hilfe zweier leerer Blechdosen herstellt, die man mit einer Schnur verbindet. Da ich ganz scharf auf ein eigenes Telefon war, probierte ich das direkt mit meiner besten Freundin aus. Die Entfernung von unserem zu ihrem Haus betrug aber locker drei Kilometer und wir mussten einige Schnüre aneinanderknoten, bis unsere Leitung schließlich verlegt war. Mit ernüchterndem Ergebnis – unser selbstgebautes Telefon funktionierte nicht.
Das hielt mich aber nicht davon ab, weiter in diesem Buch zu blättern, das mir die Welt erklärte.
Besonders faszinierend fand ich die Seiten mit den Ausblicken in die Zukunft. Da wurde dargestellt, dass es vielleicht irgendwann möglich sei, dass wir alle über Bildtelefon miteinander telefonieren können und nicht nur wenige Privilegierte. Oder dass wir in ferner Zukunft vielleicht anstelle eines Fernsehers, eines Telefons und eines Plattenspielers nur einen einzigen Apparat haben, der das alles in sich vereint und über den wir sogar Videos und Fotos angucken können. Ich war platt – diese Ausblicke sprengten gänzlich meine Vorstellungskraft – ein einziger Apparat, mit dem das alles gehen soll??? Das Ding muss ja riesengroß sein, überlegte ich mir.
Wenn mir jemand damals gesagt hätte, dass wir heute tatsächlich alle solch ein Gerät tagtäglich mit uns herumtragen und dass es wie selbstverständlich zu unserem Alltag gehört und in jede Hosentasche passt, dann hätte ich diesen Menschen wohl schräg angeguckt und für verrückt erklärt.
Nach wie vor bin ich fasziniert darüber, dass ich im Grunde die halbe Welt in meinem Smartphone mit mir herumtrage – eine riesige Bibliothek, die mir sekundenschnell erklärt, was ich wissen will, Millionen Songs, die ich mir anhören kann, mindestens genauso viele Serien und Filme, die ich streamen kann, ein Navi für die ganze Welt, mein Bankkonto, Kochrezepte, 11.800 Fotos von meinen Reisen und meinen Liebsten und – für das kleine Kind in mir das Allerallerbeste: Bildtelefon!
„Wie unkritisch ist denn? Was ist mit dem Datenschutz oder der Gefahr des Datenklaus?“, werden einige von Ihnen jetzt vielleicht einwenden. Noch kritischer könnten Sie fragen: „Und wie steht es damit, dass wir alle immer gläserner werden, dass alles, was wir mit diesen kleinen smarten Dingern, bei denen Telefonieren eigentlich nur noch zur reinen Nebensache geworden ist, so anstellen, von irgendwelchen anderen Leuten, die wir noch nicht einmal kennen, nachverfolgt werden kann? Was ist mit der ständigen Erreichbarkeit und diesem Zwang, immer alle Nachrichten sofort angucken zu müssen und zu beantworten? Was ist mit den psychischen Belastungen, die das alles hervorruft?“
Recht haben Sie, absolut! Aber das Schöne an dieser wunderbaren Welt ist ja, dass es immer eine Alternative gibt, die dann ganz schnell zu einem neuen Trend erwächst: Digital Detox. Da können Sie sich dann so ein uraltes Telefon zulegen, neusprachlich ‘Dumbphone’ genannt und dem ganzen Online-Stress entsagen – welch ein Luxus! Ich bleibe ganz unluxuriös bei meinem Smartphone und lasse mich begeistern von den Möglichkeiten – und wer verbietet mir denn, das Ding mal ein, zwei Tage beiseite zu legen? Eben: keiner!
In diesem Sinne: Bleiben Sie fasziniert von den vermeintlichen Selbstverständlichkeiten unseres Lebens und genießen Sie sie!
Regina Gross