Zwar ist es uns nicht vergönnt, im Voraus zu wissen, wie alt wir einmal werden – das Leben kann ja jeden Tag sein Ende finden, aber sollte ich einmal alt werden, also über 80, dann freue ich mich jetzt schon so richtig auf die Dinge, die ich dann tun werde.

 

Und damit meine ich jetzt nicht, im Pflegeheim zu sitzen und mich über das unfähige Personal aufzuregen. Das wäre dann wahrscheinlich sowieso eine meiner Standardbeschäftigungen.

Nein, mir kommen da ganz andere Sachen in den Kopf – haben Sie sich noch nie irgendetwas verkniffen, was Sie eigentlich jetzt direkt und ohne Aufschub am liebsten sofort tun würden, etwas, was Sie nur deshalb nicht tun, weil Ihnen Ihre Vernunft sagt, es sei besser, das nicht zu tun, weil Sie sich die Konsequenzen dieses Tuns zum jetzigen Zeitpunkt nicht leisten können oder wollen?

Ich gebe Ihnen mal ein Beispiel: Irgendsoein Vollpfosten benimmt sich Ihnen gegenüber total daneben, also so richtig daneben. Um diesem Menschen Einhalt zu gebieten, wäre das effektivste Mittel, ihm mal so einen wuchtigen Tritt vors Schienbein zu verpassen – mit ordentlich Schmackes, so dass er nur noch aufheulen kann, ansonsten aber die Klappe halten muss, weil er ja mit Heulen beschäftigt ist. Diese Gedanken habe ich so ungefähr 153 Mal die Woche, setze sie aber nicht in die Tat um, sondern begnüge mich damit, solchen Idioten lediglich verbal Einhalt zu gebieten. Wenn ich zum jetzigen Zeitpunkt ordentlich zutreten würde, wäre die Konsequenz, die ich zu tragen hätte, mit hoher Wahrscheinlichkeit nämlich ein Strafverfahren wegen Körperverletzung. Deshalb verhalte ich mich sozialangemessen und wie es von mir erwartet wird, trotzdem ist das aber eigentlich ziemlich langweilig.

Stellen Sie sich aber mal vor, ich bin 80.

Ich wäre wahrscheinlich ein zierliches Ömchen am Gehstock, die Haare zum Dutt gebunden mit nicht einmal 160 cm Körpergröße, denn im Alter schrumpft man ja bekanntlich.

Dann kommt wieder so ein Minderbemittelter daher, der sich nicht zu benehmen weiß – dreimal dürfen Sie raten, was ich  mache.

Selbstredend trete ich dann zu – so fest ich kann – allein schon deshalb, weil man einer alten Frau so etwas gar nicht zutraut.

Und je nachdem, wie intensiv sich dieser Mensch vorher daneben benommen hat, würde ich noch eins drauflegen – ich würde je nach Situation etwa unmittelbar nach dem Tritt anfangen, laut um Hilfe zu schreien und kurzerhand behaupten, dass der Schlingel versucht habe, mir die Handtasche zu klauen.

Finden Sie unmoralisch und höchst verwerflich? Ja, das ist es – aber erinnern Sie sich zurück an den Beginn meines obigen Beispiels – ursprünglich war es die Flitzpiepe, die  angefangen hat – ich würde also auf Notwehr plädieren für den Fall, dass ich erwischt werde. Außerdem kämen aufgrund meines Alters sicher noch altersbedingte Schuldausschließungsgründe oder gar Verhandlungsunfähigkeit dazu – das müßte schließlich alles untersucht werden, sollte ich auf der Anklagebank landen.

Aber seien Sie beruhigt – es werden noch einige Jahre ins Land ziehen, bis ich die 80 erreiche. Für jetzt begnüge ich mich mit der Vorstellung, was ich tun würde. Außer den Tritten ans Schienbein würden dann noch der erhobene Mittelfinger und diverse unflätige Schimpftiraden zu meinem Standardrepertoire gehören.

Für den Fall, dass Sie so ein Vollpfosten sein sollten, der sich regelmäßig gegenüber anderen daneben benimmt, sollten Sie sich in Acht nehmen, wenn Sie von einer Frau folgende Worte hören: „Man sieht sich immer zwei Mal im Leben und das Problem, das ich mit Ihnen habe, regelt ohnehin die Zeit.“ – denn dann stehen Sie auf meiner Liste.

Bis dahin wünsche ich Ihnen viel Glück, dass Sie nicht vorher noch einer anderen 80-Jährigen begegnen, die eine ähnliche Haltung entwickelt hat wie ich.

Regina Gross
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