Seit dem Lockdown teile ich die Zeit im Geiste in zwei Abschnitte – da ist einmal all das vor Corona, was selbstverständlich war und nie infrage gestellt wurde und dann sind da die Veränderungen, mit denen ich mich jetzt zwangsweise arrangieren muss: Alltagsmaske, Abstand halten, abgesagte Veranstaltungen.

Wenn ich aber genau drüber nachdenke, dann bringen diese durch Corona eingeführten Regeln nicht nur Nachteile, sondern auch enorme Vorteile mit sich, deren Wert geradezu unschätzbar ist: Aus irgendwelchen mir unerklärlichen Gründen haben sich nämlich diese ‘Stinkbolzen’, die aus allen Poren unerträgliche Gerüche verbreiten, in Bus und Bahn immer direkt neben mich gesetzt, obwohl es überall noch freie Plätze gab, wodurch so manche Fahrt für mich zu einer olfaktorischen Qual wurde. Jetzt, durch Maske und den gebührenden Abstand, bin ich geradezu begeisterte Nutzerin der ‘Öffis’ geworden.

Apropos Abstand – meine Freundinnen sind Fans der sogenannten ‘Bussi-Bussi-Begrüßung’ – sehr zu meinem Leidwesen, denn regelmäßig waren meine blütenweißen Blusenkragen nach den Willkommensknutschern verziert mit pinkem Lippenstift und Make-Up-Flecken. Auch darüber muss ich mich jetzt nicht mehr ärgern, denn seit dem neu eingeführten Corona-Ellenbogen-Gruß ist die Knutscherei kein Thema mehr.

Auch das Schütteln schweißnasser Hände und der Nahkampf mit diesen Idioten, die beim Begrüßungshandschlag meinen, sie müssten die Hand ihres Gegenübers kurz mal so richtig zerquetschen, entfällt.
Die Leute, die mir früher in der Supermarktschlange mit dem größten Vergnügen ihren Einkaufswagen in die Hacken rammten, müssen dank der Abstandsregeln jetzt auch lernen, dass Drängeln nicht mehr angesagt ist und diese notorischen ‘Tabubereichs-übertreter’, die einem immer gern derart nah gekommen sind, dass man unweigerlich zwei Schritte zurückgehen musste, kann man jetzt mit dem ausgestreckten Arm und einem laut gerufenen „Corona!“ wieder auf ihren Platz verweisen.

Herrlich ist das!

Zwar bedaure ich es sehr, dass zwei Konzerte, auf die ich mich so richtig gefreut hatte, abgesagt wurden, aber anderen Veranstaltungen, die mit Verweis auf ‘Covid 19’ ersatzlos gestrichen wurden, weine ich keine Träne hinterher: Elternabende, die Jubiläumsfeier des Sportvereins oder die Mitgliederversammlung des Pinkerswerder Bürgerclubs, bei der am Ende des Abends ohnehin die eine Hälfte der Anwesenden eingeschlafen und die andere Hälfte betrunken war. Interessanterweise hat der Ausfall dieser Zusammenkünfte bislang keine merkbaren folgenschweren Schäden nach sich gezogen…aber bevor ich jetzt anfange, laut über deren Notwendigkeit nachzudenken und mir den Unmut meiner sozial engagierten Mitmenschen einfange, halte ich doch lieber meine Klappe und genieße diese stillen Abende der inneren Einkehr, ohne Kuchen, Salate und Frikadellen für irgendwelche Buffets beisteuern zu müssen.

Fürwahr – dieses ‘Social Distancing’ hat in meiner Person eine glühende Anhängerin gefunden. Nicht zuletzt deshalb, weil ich vor Corona – und das wird mir erst jetzt so richtig bewusst – viel zu oft Opfer der ‘sozialen Überrumpelung’ geworden bin – die regelmäßigen Anrufe meiner alten Schulfreundin am Freitagnachmittag etwa, die spontan mit fünf Kindern und Ehemann unterwegs nach Bremen ist, um mit ihrer Sippe bis inklusive Sonntag bei mir einzufallen, weil es bei mir, anders als bei ihren Eltern, ja „nicht so tragisch“ ist, wenn die wilde Dreijährige meinen hellgrauen Veloursteppich großflächig mit Erdbeermarmelade verziert, sind seit Ausbruch der Pandemie völlig ausgeblieben. Das ist geradezu großartig – dank ‘Social Distancing’ erfahre ich, welchen Erholungswert so ein Wochenende tatsächlich haben kann, wenn man mal die Chance bekommt, es allein zu verbringen!

Der einzige in meinem Umkreis, dem die neuen Corona-Regeln leider völlig schnuppe sind, ist mein Hund – dem ist es nicht abzugewöhnen, mit einem wuchtigen Sprung direkt neben mir auf dem Sofa Platz zu nehmen und mir mit nasser Zunge quer übers Gesicht zu lecken – also echt, dieser Köter ist so ein richtiger ‘Corona-Leugner’!

Aber irgendeinen gibt’s ja immer, der aus der Reihe tanzen muss…

Regina Gross
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