Martin Wehrle ist eine prominente Persönlichkeit als Karriere- und Lebenscoach in Deutschland. Seine Bücher haben weltweit in zwölf verschiedenen Sprachen große Begeisterung bei Lesern hervorgerufen. Werke wie „Ich arbeite in einem Irrenhaus“ und seine Fortsetzung „Ich arbeite immer noch in einem Irrenhaus“ wurden zu gefeierten Bestsellern. Zuletzt erzielte er mit „Den Netten beißen die Hunde“ den Status eines Spiegel-Bestsellers. Zudem leitet er an der Karriereberater-Akademie in Hamburg die Ausbildung von Karrierecoaches. In einem exklusiven Interview sprach die BREMER-Autorin Fanny Quest über sein neuestes Buch.
BREMER: Warum wollen wir von allen gemocht werden?
Wehrle: Wir lernen eine Kindheit lang, dass die Wünsche der anderen wichtiger als unsere eigenen sind. Wer als Kind keinen Hunger hat, bekommt zu hören: „Iss deinen Teller leer!“ Wer als Kind auf dem Stuhl wippt, bekommt zu hören: „Sitz endlich still.“ Anerkennung bekommen Kinder, wenn sie auf die Erwachsenen hören. Dieses Verhalten, dass wir auf andere mehr als auf unser eigenes Herz hören, führen wir als Erwachsene unbewusst fort.
Welche Risiken können dabei entstehen?
Wer es allen anderen recht macht, macht es sich selber schlecht. Er tut Dinge, die ihm nicht guttun, nur weil andere es erwarten. Er verliert sein eigenes Leben durch Anpassung. Das kostet ihn den Respekt seiner Mitmenschen – und es kann bis in eine Depression führen.
Wann sollte man Grenzen setzen?
Wenn die eigenen Bedürfnisse verletzt werden oder andere Menschen uns zu etwas drängen wollen. Zum Beispiel sollte ich keine Überstunden machen, nur weil der Chef es erwartet, sofern mir die Kraft dazu fehlt. Dann nehme ich mein eigenes Bedürfnis wichtiger und sage Nein. Und ich sollte auch keinen Menschen beim Umzug helfen, die mich bei solchen Gelegenheiten grundsätzlich hängen lassen. Es gilt der Grundsatz: Niemand kann mich ausnutzen – sofern ich ein guter Anwalt meiner selbst bin.
Was tue ich, wenn dann mögliche Konflikte aufkommen?
Konflikte können ein gutes Zeichen sein. Es ist gut, wenn Sie Farbe bekennen und wenn ein anderer merkt, dass Sie Ihre Position mit Nachdruck vertreten. Bleiben Sie dabei freundlich, aber zugleich entschlossen. Denn es ist ein Märchen, dass man durch Konflikte andere vergrault; vielmehr gewinnt man Respekt.
Welche Persönlichkeitstypen haben es schwerer Grenzen zu setzen?
Nette und soziale Menschen. Sie sind so sehr auf das Wohlergehen der anderen konzentriert, dass sie sich selbst oft aus dem Blick verlieren. Sie hören auch dann noch aufmerksam zu, wenn sie längst schon kein Interesse mehr haben oder innerlich erschöpft sind. Darum ist es so wichtig, sich immer wieder zu fragen: Wie geht es mir dabei? Immer, wenn es Ihnen NICHT gut geht, sollten Sie Ihre eigenen Bedürfnisse ernster nehmen und klarer vertreten. Ich zeige in meinem Buch, wie man diesen Weg erstaunlich einfach einschlagen kann.
Wie kann man lernen, eigene Grenzen klar und respektvoll zu kommunizieren?
Man sollte sich Zeit lassen für eine Antwort. Wenn zum Beispiel eine Kollegin fragt, ob Sie ihr eine Arbeit abnehmen können, dann sollten Sie antworten: „Ich überleg das gern und kommt gleich wieder auf dich zu.“ Dann rutscht Ihnen kein Ja über die Lippen, dass Sie später bereuen. Stattdessen sammeln Sie sich innerlich. Und falls Sie zu dem Ergebnis kommen, dass Sie das nicht wollen, sollten Sie Ihre Antwort gleich mit einem Nein beginnen, zum Beispiel: „Nein, diesmal kann ich dich nicht unterstützen. Ich habe meine eigenen Projekte angeschaut und festgestellt, dass ich damit schon gut ausgelastet bin.“ Es gibt Studien, die belegen: Ein Nein, das gleich am Anfang steht, wird leichter akzeptiert.
Wie lernt man „Nein“ zu sagen?
Indem man sich bewusst macht: Ein ehrliches Nein ist immer besser als ein unehrliches Ja. Zum Beispiel lädt mich jemand ins Kino ein, aber ich habe keine Lust. Nun kann ich Ja sagen, um dem anderen einen Gefallen zu tun. Aber in Wirklichkeit täusche ich ihn: Während er vielleicht meint, mir einen Gefallen zu tun, raubt er mir Zeit. Da ist Ehrlichkeit der bessere Weg für beide Seiten. Wer sich das bewusst macht, sagt leichter Nein.
Wie erkennt man seine eigenen Bedürfnisse und Wünsche?
Fragen Sie sich öfter mal: Angenommen, ich hätte die freie Wahl… Wie würde ich mein Leben verbringen? Mit welchen Menschen würde ich mich umgeben? Was würde ich definitiv nicht mehr tun? Solche hypothetischen Fragen bringen uns auf die Fährte der eigenen Wünsche. Manchmal sind wir von ihrer Erfüllung nur eine Entscheidung weit entfernt. Aber diese gilt es zu treffen und auch umzusetzen.
Haben Sie einen Wunsch?
Vor allem wünsche ich mir, dass wir miteinander wieder respektvoller umgehen. Ich finde es fatal, dass wir Mitmenschen diffamieren, nur weil sie unsere eigene Meinung nicht teilen. Das war so in der Corona-Krise und ich beobachte es auch wieder beim Ukraine-Krieg. Ich finde es wunderbar, wenn die Meinungswiese bunt ist, wenn dort nicht nur eine Blumensorte blüht. Das ist ein Zeichen für eine funktionierende Demokratie, für einen lebendigen Austausch. Was von meiner Meinung abweicht, muss deshalb noch lange nicht schlechter sein.
Haben Sie ein Lebensmotto?
Von Erich Kästner geliehen: „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es!“
FQ
Martin Wehrle
Wenn jeder dich mag, nimmt keiner dich ernst
Wie oft sagen Sie, was tatsächlich in Ihnen vorgeht? Und wie oft behalten Sie Ihre Meinung für sich, aus Sorge, anderen damit auf den Schlips zu treten? Wer alles tut, was andere von ihm wollen, ist zwar beliebt – aber lediglich als leichtes Opfer. Autor Martin Wehrle ermutigt dazu, ehrlicher zu sein und eigene Meinungen zu vertreten, ohne sich verunsichern zu lassen. In seinem Buch zeigt er, wie man Selbstachtung bewahrt, sich nicht ausnutzen lässt und persönliche Ziele erreicht. Das Werk richtet sich an jene, die ihren Standpunkt verteidigen möchten und souveräner auf unangenehme Situationen reagieren wollen. Es bietet Kraft und Inspiration für mehr Selbstbewusstsein und Schlagfertigkeit im Alltag. Mosaik Verlag 18€
(Foto: Martin Wehrle)