Martin Wittmann studierte Soziologie in München. Nach einem Volontariat bei der FAZ arbeitete er als freier Journalist, vor allem für die Süddeutsche Zeitung. Seit 2016 ist er Redakteur im Ressort Seite Drei, seit 2019 leitet er das Buch-Zwei-Team. Er hat zwei Bücher veröffentlicht: eines über Bayern, eines über Australien. Wittmann, der inzwischen passioniert kocht und leidenschaftlich Gitarre spielt, aber dem Traum vom Tanzen und vom Boxen endgültig abgeschworen hat, lebt mit Frau und Tochter in München. BREMER-Autorin Fanny Quest führte ein exklusives Interview über sein neues Buch.

BREMER: Welche zwölf Vorhaben hast du dir vorgenommen?

Martin Wittmann: Das war eine Mischung aus alten Träumen und neuen Vorsätzen: Klassiker wie Kochen, Spanisch, Boxen und Gitarre lernen und sich ordentlich um die Finanzen und um die Gesundheit kümmern, aber auch nachhaltige Ziele wie Autoverzicht und soziales Engagement. Nebenbei habe ich noch ein Bett gebaut und bin 500 Kilometer quer durch Deutschland geradelt. Tanzen wollte ich auch lernen, und mitten im Jahr habe ich mir noch eine Tennistrainer-Ausbildung angetan.

Und warum ein Jahr?

Wie viele andere Menschen auch brauche ich so einen zeitlichen Rahmen für meine Pläne. Ein Jahr – das schien mir lange genug zu sein, um meine Vorhaben ernsthaft anzugehen, aber absehbar genug, wenn ich das Ende herbeisehnte.

Hast du dabei gleichzeitig 40Std./Woche gearbeitet?
Ja, ich wollte dafür keine Auszeit nehmen, sondern die Ziele in meinen Alltag einbauen. Es sollte kein Selbstversuch eines Aussteigers sein, sondern der eines Normalos. Meinen Job habe ich wie zuvor auch gemacht. Meine Kollegen haben das gar nicht mitgekriegt, die sind verwundert, wenn sie heute von meinem damaligen Projekt hören.

Wieviel Zeit hast du dir für deine Ziele pro Woche eingeräumt?
Im Durchschnitt habe ich pro Woche sicher 15 Stunden investiert. Mindestens. Das Zeitmanagement fiel mir um einiges leichter, als ich Mitte des Jahres begonnen habe, zweitweise um fünf Uhr aufzustehen.

Stichwort Selbstoptimierung: Nehmen wir uns zu viel vor?
Auf jeden Fall. Ich habe es bewusst übertrieben in dem Jahr, aber ich denke, dass wir uns auch sonst viel zu viel zumuten. Dieser Anspruch an uns macht jedoch nicht glücklich, sondern ist, wie es in der Soziologie schön heißt, ein systematischer Enttäuschungsgenerator. Hat man das eine Ziel erreicht, wartet schon das nächste.

Haben dich deine Vorhaben auch mal gestresst?
Klar, irgendwann bin ich nicht mehr hinterhergekommen, war chronisch gehetzt und immer zu spät dran und mit dem Kopf schon immer beim nächsten Projekt. Bis ich beschlossen habe, weniger zu machen und Ziele auch mal von der Liste zu streichen, ohne sie erreicht zu haben. Klappt auch.

Wie setzt man sich realistische Ziele?
Wichtig ist herauszufinden, ob die Ziele wirklich die eigenen sind oder man nur eine soziale Erwartung erfüllen möchte. Wenn man sich etwas seit Jahren vornimmt und immer neue Ausreden findet, das Vorhaben hinauszuschieben, dann sollte man sich fragen: Will ich das wirklich? Oder würde ich es nur gerne wollen? Bei mir war das so mit dem Tanzen – selbst in dem Vorsatz-Jahr habe ich bis Oktober immer noch nicht damit begonnen. Also habe ich es einfach sein lassen. Ein befreiendes Gefühl.

Was heißt es, auch mal zu scheitern?
Das Scheitern hat mich das ganze Jahr über begleitet. Und es war gar nicht so frustrierend, wie ich vorher befürchtet hatte. Hier ein verkochter Eintopf, dort eine Gitarrenstunde zum Vergessen, hier eine versemmelte Prüfung und dort ein Boxhieb ins Gesicht – ich habe viel gelernt durch diese Erfahrungen, auch wenn sie in dem Moment furchtbar entmutigend war. Vor allem aber habe ich lernen müssen und dürfen, am Ende des Tages nicht an die Niederlagen, sondern an die geglückten Momente zu denken. Dazu muss man sich anfangs zwingen, aber bald merkt man, wie zufrieden man eigentlich sein kann.

Verrätst du vorweg drei Einsichten aus deinem Jahr?

  1. Nicht zu viel vornehmen. Auf keinen Fall gleich zwölf Ziele verfolgen, und bei den ausgewählten Vorsätzen ein paar Tricks beachten: das Ziel positiv und konkret formulieren, Pläne machen, Zwischenziele einplanen. Anderen davon erzählen. Und versuchen, das Verhalten zur Gewohnheit werden zu lassen.
  2. Alte und neue Gewohnheiten überdenken und die zeitliche und räumliche Umgebung so einrichten, dass es leicht fällt, das Gewünschte zu tun und das Unerwünschte zu lassen. Also konkret: vor dem Schlafengehen die Yoga-Matte schon mal für den nächsten Tag ausrollen. Und das Handy über Nacht in eine Schublade legen.
  3. Nicht immer stur konsequent sein. Das führt nur dazu, dass man sich nach dem ersten schwachen Moment denkt: Jetzt ist es auch schon egal. Also: Nur, weil man jetzt beim Heimatbesuch mal den Braten der Mutter verdrückt hat, heißt das nicht, dass man ab jetzt auch im Alltag wieder jeden Tag Fleischsalat essen muss.

Was möchtest du von deinen Einsichten gerne beibehalten?

Vieles ist mir geblieben von dem Jahr: ich liebe Radfahren mehr und Wurst weniger als ich dachte; ich habe nicht viel Zeit für soziales Engagement, aber alle sechs Wochen Blut zu spenden krieg ich hin; ich spiele grottenschlecht Gitarre, aber das sehr gerne; vor allem aber bin ich nachsichtiger mit mir.

Hast du einen Wunsch?
Ich würde irgendwann gerne mal ein Lebensmotto haben.

Hast du ein Lebensmotto?
Moment, so schnell geht das nicht.

FQ
Martin Wittmann
Cover ‚Wie ich einmal alles schaffen wollte, was ich mir schon immer vorgenommen habe…‘

Martin Wittmann

Wie ich einmal alles schaffen wollte, was ich mir schon immer vorgenommen habe: 1 Jahr, 12 Vorsätze, 123 Einsichten

Wir alle nehmen uns tausend Dinge vor, verschieben unsere Vorhaben aber immer wieder aufs Neue. Martin Wittmann will seine Tatenlosigkeit überwinden und wagt den Selbstversuch: Ein Jahr lang zwölf gute Vorsätze in die Tat umzusetzen und in seinen Alltag als arbeitender Familienvater zu integrieren, um ein rundum besserer Mensch zu werden. Mit viel Offenheit und der nötigen Portion Humor erzählt der Journalist von einem Experiment, das ihm alles abverlangt, aber auch viele neue Einsichten beschert. Ein Buch über Erfolg und Misslingen von Vorsätzen, über Sinn und Unsinn der Selbstoptimierung – für alle, die wir uns immer wieder Neues vornehmen und daran zu scheitern drohen. Penguin Verlag 22€

(Foto: Friedrich Bungert)

 

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