Wie man Redewendungen grundsätzlich falsch verstehen und sich damit (fast) den Sonntag verderben kann.

Sie gehören zu unserem Alltag wie die Butter aufs Brot oder das Salz in die Suppe – Redewendungen. Sie bringen Dinge auf den Punkt und erleichtern die Kommunikation, weil man anstelle langer Erklärungen einfach ein kurzes Sprichwort raushaut, mit dem alles gesagt ist. Voraussetzung ist allerdings, dass das Gegenüber diese Redewendung kennt – sonst kann ein kurzer Satz eine lange Diskussion und manchmal sogar ein Zerwürfnis nach sich ziehen…

Wenn man ‘keinen Bock mehr’ hat, dann heißt das, dass man keine Lust mehr auf etwas hat und nicht etwa, dass man seinen Ziegenbock irgendwo verloren hat. ‘Drückt man jemandem die Daumen’, dann wünscht man demjenigen viel Glück und zerquetscht ihm nicht die Finger. Das weiß bei uns jeder – es sind kurze treffende Sätze, die häufig ins Gespräch eingeworfen werden.

Mit Sprichwörtern jedoch, die etwa auf die Figur von jemandem abzielen, sollte man(n) schon eher sparsamer umgehen, denn diese könnten auch mal missverstanden werden.
So geschehen kürzlich an einem sonnigen Sonntagmorgen im Mai. Das Frühstück fiel üppiger aus als sonst – es war ja schließlich ein arbeitsfreier Tag, man hatte Zeit für den kulinarischen Genuss. Als ich nach zwei köstlichen Croissants laut darüber nachdachte, ob ich es wagen könnte, mir jetzt noch ein drittes zu gönnen, entgegnete mein Liebster: „Locker, das fällt bei dir nicht ins Gewicht, du bist ja schlank wie eine Tanne!“
Mit dieser kleinen Wendung nahm das sonntägliche Drama seinen Lauf. Unmittelbar erschienen mir Bilder von Tannen vor meinem geistigen Auge – oben eher schmal und nach unten kegelförmig dick auslaufend, üppig geschmückte, überladene Christbäume mit voluminösen Kugeln in Kaufhäusern und auf Grußkarten – an Essen war jetzt nicht mehr zu denken – mir wurde ganz schwummerig und ich bekam Schnappatmung – was hatte der für ein Bild von mir und meiner Figur???
„Was???“, erwiderte ich. „Wie eine Tanne? Du meinst also, ich hätte eine Figur wie ein fetter Weihnachtsbaum??? Das hat ja noch nie jemand zu mir gesagt!“
Mein Gegenüber schaute mich mit einer Mischung aus Verblüffung und Unverständnis an. Ich merkte, dass er nachdachte – und zwar länger – es war mir wohl bekannt, dieses Nachdenken, bei dem er fast in ein Phlegma verfiel und das mich gerade jetzt in diesem Augenblick fast wahnsinnig machte, weil er mir keine Erklärung für diese Frechheit lieferte, die er soeben geäußert hatte.
Irgendwann räusperte er sich dann doch und fragte: „Kennst du das nicht? ‚Schlank wie eine Tanne‘ – das sagt man doch so, wenn jemand eine super Figur hat!“
Nein, das kannte ich nicht, aber was für eine Silhouette so eine bauchige Nordmanntanne hat, das wusste ich und ich wollte meine Figur auf gar keinen Fall mit diesem Baum verglichen wissen.

Mein sonst von mir so bezeichneter Liebster tippte auf seinem Smartphone herum. „Typische Übersprungshandlung“, dachte ich, „nur weil er jetzt nicht mehr weiter weiß mit dem Bock, den er da gerade geschossen hat.“ Schließlich hielt er mir das Display vor die Nase. „Guck mal, hier wird die Redewendung erklärt: Wenn jemand ‘schlank wie eine Tanne ist’, dann handelt es sich dabei um eine sehr schlanke Person.“
Ich war baff – wer sich dieses beknackte Sprichwort ausgedacht hat, der kann im Leben noch keine Tanne gesehen haben – zumindest nicht dieselben Tannen wie ich…
Mit meinem Freund war ich jetzt immerhin wieder versöhnt. Das dritte Croissant hatte allerdings zwischenzeitlich er verdrückt – mit deutlichen Spuren, denn auf seinem Hemd prangte ein dicker roter Marmeladenfleck von der Erdbeerkonfitüre, die vom Hörnchen heruntergelaufen war.
„Du hast mal wieder gekleckert“, sagte ich, worauf er mit betonter Langsamkeit an sich hin­unterblickte, wieder länger überlegte und dann entgegnete: „Ja – du weißt doch – ich bin ‚fleckmatisch‘!“

Regina Gross
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